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der Industrie mußten sich, wie wir oben schon angedeutet, die Banken in der verschiedensten Weise durch Aktienübernahme, durch Gewährung von Anlage-, Betriebs- und Kontokorrent-Kredit beteiligen, und zu diesen Transaktionen brauchten sie Geld und immer wieder Geld.

Man hat hinsichtlich der Depositen Vorschläge gemacht, die auf nichts weniger zielen, als auf eine gänzlich anderweitige Organisation unseres historisch gewordenen Bankwesens. Man möchte das Übel an der Wurzel packen, und gerade die Erfahrungen der letzten Krisis haben Veranlassung gegeben, daß die öffentliche Meinung sich mit diesen Besserungsvorschlägen eingehend beschäftigt. Abgesehen von der schon erwähnten Maßregel, eigene Depositenbanken nach englischem System zu errichten, verdient namentlich der bekannte Vorschlag des Präsidenten der Zentralgenossenschaftskasse, Heiligenstadt, besondere Beachtung. Heiligenstadt will alle Banken, die Depositen annehmen, gesetzlich verpflichten, 1–2% vom jährlichen Durchschnittsbetrage ihrer sämtlichen Kreditoren bei der Reichsbank zu hinterlegen. Aus der angeblich zu geringen Liquidität der Banken folgert er, daß die fremden Gelder in zu großem Umfange für Anlagezwecke festgelegt worden sind, und er will durch seinen Vorschlag einen entsprechenden Teil des eigentlichen Betriebskapitals der deutschen Volkswirtschaft auch dauernd in liquiden Mitteln erhalten. Werden so auf der einen Seite die Betriebsmittel der Reichsbank verstärkt, so würden auf der anderen Seite auch die Banken verhindert werden, einen übermäßigen Teil der fremden Gelder festzulegen. Der Vorschlag, der sicherlich einen beachtenswerten Grundgedanken aufweist, hält näherer Prüfung nicht stand; kein Mensch und kein Gesetz kann die Banken zwingen, die ihnen entzogenen Mittel gerade aus ihren langfristigen Anlagen zu nehmen, und eine wirksame Durchführung des Heiligenstadtschen Gedankens wäre überhaupt nur möglich, wenn die Privatbanken zur Haltung einer bestimmten Barreserve gesetzlich gezwungen würden. Gegen eine so einschneidende, die Betätigungsfreiheit der Banken schwer einengende Bestimmung aber lassen sich doch sehr starke Bedenken erheben; die Erfahrung hat gelehrt, daß derartige gesetzliche Bindemittel schließlich für die Allgemeinheit weit schädlicher zu sein pflegen als der auf der anderen Seite erhoffte Vorteil. Es kommt hinzu, daß aller Wahrscheinlichkeit nach der Reichsbank durch diese Zwangsreserve neue Barmittel gar nicht zufließen würden; die Privatbanken würden wahrscheinlich nur ihr Giro bei der Reichsbank entsprechend verringern und die fragliche Quote der Reichsbank gutschreiben lassen. Ein anderer Reformvorschlag geht auf eine größere Publizität über die Geschäftsführung der Privatbanken, und man kann hier mit Befriedigung feststellen, daß die Berliner Großbanken sich schon seit mehreren Jahren freiwillig entschlossen haben, in Zweimonatsbilanzen ihren Status in Form von Rohbilanzen vor der Öffentlichkeit darzulegen, und zwar nach einem bestimmten Schema. Gewiß soll man derartige Veröffentlichungen nicht überschätzen; wir können hierbei nur Bezug nehmen auf das, was wir bei Besprechung des Liquiditätsbegriffes gesagt haben. Auch durch die Zweimonatsbilanzen würden ungesunde Zustände, die intern bei den Privatbanken bestehen, kaum erkannt werden, denn den einzelnen Konten kann wirklich nicht angesehen werden, ob im konkreten Falle liquide Beträge in ihnen stecken. Wechsel, Reports, Lombards gelten

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/309&oldid=- (Version vom 20.8.2021)