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deswegen eine größere Übersicht, aber auch eine große Verantwortlichkeit und Einfluß auf die gesamten Wirtschaftsverhältnisse. Des weiteren beruht unser Banksystem immer noch viel stärker auf Barzahlung und Noten; der ganze Geschäftsverkehr ist weit mehr von diesem ursprünglicheren Zahlungssystem durchtränkt, und bei uns kann man deswegen die Goldreserve der Reichsbank nicht, wie in England, als die ausschließliche und letzte Reserve für alle Geschäfte betrachten wie dort. Auf der anderen Seite treten in den Beziehungen der Banken zur Reichsbank bei uns gewisse Nachteile stark und immer stärker hervor. Die Vielseitigkeit des Geschäfts bei uns, namentlich das starkentwickelte Effektengeschäft, nötigt zu Ultimozahlungen, und da außerdem sich bei unserem Kreditsystem sehr viele Zahlungen an bestimmten Terminen zusammendrängen, so pflegen unsere Großbanken durch entsprechende Erleichterung ihres Wechselportefeuilles sich im Wege der Rediskontierung bei der Reichsbank Geld zu verschaffen. Gerade dadurch werden am Schlusse des Monats und noch mehr des Quartals die großen Notenausgabe-Vermehrungen begreiflich. Es ist auch nicht zu verkennen, daß die deutschen Großbanken, um die ihnen so stark zuströmenden fremden Gelder nutzbringend in kurzfristigen Anlagen zu verwerten, sich in den letzten Jahrzehnten steigend dem Wechseldiskontgeschäft zuwenden; die Zustände nähern sich in dieser Hinsicht allmählich mehr den englischen; die Macht des Zentralinstituts auf dem Diskontmarkt ist keine ausschließliche mehr.

In allen drei Ländern hat sich die Macht der Privatbanken gegenüber den Zentralbanken entwickelt, weil das beschäftigungslose Kapital mit dem steigenden Volkswohlstand infolge der verbesserten Zahlungsmethode sich in immer riesigeren Summen den Privatbanken zuwendet. Nur diese können eine, wenn auch oft nur geringe Verzinsung in Aussicht stellen, während den Zentralinstituten eine lukrative Verwendungsmöglichkeit nicht in dem Maße zusteht. Am stärksten ist die Privatbankmacht in England entwickelt, neben der die umlaufenden Noten und Bankdepositen der Bank von England eine nur bescheidene Rolle spielen. In Deutschland und Frankreich hat diese Macht die gleiche Höhe noch nicht erreicht. In Frankreich ist bei der geringeren Entwicklung von Handel und Industrie die gewinnbringende Verwendungsmöglichkeit der Depositengelder nicht leicht gegeben, und diese Depositen verwandeln sich daher in der Regel bald zu in- oder ausländischen Rentenwerten und entziehen sich damit der Verwendungsgewalt durch die Banken. In Deutschland ist der Geldmacht der Privatbanken eine starke Konkurrenz entstanden durch die Sparkassen und Kreditgenossenschaften, deren Spargelder in Höhe von ca. 17 Milliarden die etwa 9–10 Milliarden betragenden fremden Gelder der Banken noch um ein Drittel übersteigen. Die Stellung der Privatbanken zum Zentralnoteninstitut zeigt sich besonders in der Art, wie das Zentralinstitut bei dem Diskontgeschäft arbeitet. In England und auch in Frankreich ist das Zentralinstitut als erstinstanzlicher Kreditvermittler so gut wie ausgeschaltet, was in England an den ungeheuren Mitteln der Joint-Stock-Banks und an der riesigen Zahl ihrer Filialen liegt. Zwei, drei große Pariser Banken haben ebenfalls eine ungeheure Zahl von Filialen, auch an den kleinsten Orten, und da die Banque de France an der dritten Unterschrift noch immer strikte festhält, so wird die Geschäftswelt ohnehin von selbst in der Mehrzahl der Fälle

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/301&oldid=- (Version vom 20.8.2021)