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Siege der Aktienbanken endete. Die Kräfte des Privatbankiers reichten zur Befriedigung des Kreditbedürfnisses tatsächlich nicht aus, wenn auch gewiß nicht zu bestreiten ist, daß schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, namentlich in Mittel- und Süddeutschland, es nicht ganz wenige hervorragende Privatbankiers gegeben hat.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Ende der achtziger Jahre einen besonderen Abschnitt in der Entwicklung des Bankwesens eigentlich nicht darstellt, und man kann für diese Zeit nur ein neues charakteristisches Moment hervorheben, nämlich das langsame Hervortreten der Reichshauptstadt Berlin als Zentrum des gesamten deutschen Bankwesens. Der große Aufschwung nach 1870 fand durch die schwere Krisis von 1873 ein rasches und jähes Ende. Es kamen die Jahre eines wirtschaftlichen Tiefstandes, bis, hauptsächlich infolge der neuen Bismarckschen Wirtschafts- und Finanzpolitik, eine Ära starken Aufstiegs einsetzte, die etwa bis zum Jahre 1883 dauerte; dann folgte nach dem bekannten Gesetz der Kontrastbewegung, das ja auch gerade für das Wirtschaftsleben seine Geltung heischt, eine Periode der Depression, worauf etwa 1888 eine neue Aufschwungsepoche einsetzt. Sie wurde noch einmal zu Beginn der neunziger Jahre unterbrochen, setzte sich dann aber unausgesetzt fast 10 Jahre fort, um zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer scharfen, aber zum Glück nur kurzen Krisis zu führen. Seitdem ist unser Bankwesen von schwereren Erschütterungen verschont geblieben, denn das Jahr 1907, das allenfalls noch als ein kritisches bezeichnet werden kann, war weniger durch Vorkommnisse im heimischen Wirtschaftsleben bedingt, als durch finanzielle Erschütterungen in Amerika.

In diesem Zeitabschnitt haben sich die Aufgaben des deutschen Bankwesens genauer bestimmt, sie haben festumrissene Gestalt gewonnen. Man hat die Tätigkeit der Banken des öfteren verglichen mit der des Herzens im menschlichen Körper; die Banken sollen, wie das Herz den Kreislauf des Blutes, so den des Kapitals in der Volkswirtschaft regeln. Die Analogie ist in der Tat vorhanden. Die Banken nehmen aus allen Teilen des Volkskörpers das Kapital an sich in Form von Depositen und sonstigen Guthaben, und haben die Aufgabe, die so gewonnenen Gelder im Wege der Kreditgewährung richtig und zweckmäßig zu verteilen; die Banken sind also das Bindeglied zwischen dem Kapitalbesitzer einerseits, der ihnen das Geld bringt, und dem Unternehmer andererseits, der jene Gelder zur Förderung seiner Unternehmen bedarf. Zwischen diesen beiden Polen, dem Geldgeber und dem Kreditnehmer, spielt sich das gesamte laufende, das sogenannte reguläre Geschäft der Banken ab, und zu ihren wichtigsten Funktionen gehört es, daß auf dem ganzen Wege, den das Kapital zu durchlaufen hat, es möglichst immer produktiv sei, d. h. eine angemessene Verzinsung abwerfen soll. Unaufhörlich strömt das Kapital den Banken zu als den großen Hochreservoiren aller mobilen Gelder, und ihnen liegt es ob, alle diese Mittel für die verschiedensten Gebiete nutzbar zu machen. Es kann nicht fraglich sein, daß die Banken dieser ihrer ersten und vornehmsten Aufgabe durchaus gerecht geworden sind; sie haben, das zeigt ein Blick auf unsere gesamte Entwicklung, die Produktivität unserer Volkswirtschaft gerade durch die Art der Kapitalsverteilung ganz außerordentlich gesteigert. Gewiß sind unsere Banken nicht nur Ursache dieser Entwicklung gewesen, sondern auch

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/296&oldid=- (Version vom 20.8.2021)