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Bankwesen
Von Geh. Regierungsrat Richard Witting, Berlin


Geschichtliche Übersicht.

Wer die Entwicklung unseres Bankwesens im letzten Vierteljahrhundert darstellen will, müßte eigentlich das gesamte Wirtschaftsleben dieser Epoche historisch und kritisch beleuchten. Ist es doch beinahe zum Gemeinplatz geworden, daß unsere Banken den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Organismus darstellen, und daß bei ihnen alle wirtschaftliche Tätigkeit ihren zentralen Ausdruck findet.

Im Rahmen dieser Arbeit können naturgemäß nur wenige, nur die wichtigsten Kapitel des Bankwesens und der Bankpolitik behandelt werden. Wir müssen uns darauf beschränken, einen kurzen Abriß der Geschichte des Bankwesens und seiner Technik zu geben, und ewige besonders wichtige Probleme der Bankpolitik kurz zu behandeln.

Die Phasen wirtschaftlicher Entwicklung sind an den Kalender nicht gebunden, und man kann daher die Periode seit dem Jahr 1888 – die Thronbesteigung des regierenden Kaisers – kaum als einen besonderen Abschnitt in unserem Bankwesen darstellen. Will man solche Schnitte überhaupt machen, so könnte man eher an die Zeit vor und nach dem großen Kriege mit Frankreich denken, und seit 1870 wiederum die Entwicklung in den neunziger Jahren mit ihren Bestrebungen der Ausdehnung und der Konzentration als einen Wendepunkt in der Geschichte des Bankwesens charakterisieren.

Das deutsche Wirtschaftsleben hat – das ist genügend oft geschildert – in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts einen so gewaltigen und über alles Erwarten starken Aufschwung genommen, daß es sich von dem Zustand bis um die Mitte des Jahrhunderts ganz und gar unterscheidet. Der Beginn des 19. Jahrhunderts, wo Dampf Eisenbahn und Maschinen fehlen, ähnelt mehr den weit zurückliegenden Jahrhunderten als der Gegenwart; die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eine völlig neue Zeit.

Nach 1870 setzte in dem neu entstandenen Deutschen Reiche eine reformatorische Gesetzgebung ein, die vor allem die Konzessionspflicht für die Aktiengesellschaften ausschaltete. Bis dahin hatte sich das Bankwesen fast ausschließlich in den Häusern einiger großer Privatbankiers konzentriert, die das reguläre Bankgeschäft und auch das größere Finanzgeschäft mit ihren zum Teil schon recht bedeutenden Mitteln zu betreiben imstande waren. Hier trat nun, begünstigt durch die Gesetzgebung, durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung die Aktiengesellschaft an die Stelle des einzelnen, und ein zäher Kampf entbrannte zwischen beiden Formen, der mit dem

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/295&oldid=- (Version vom 20.8.2021)