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zwei Forderungen berechtigt: daß erstens jeder Kleinhandelsbetrieb, in welcher Form er auch stattfindet, den gleichen öffentlichen Verpflichtungen steuerlicher, sozialer usw. Art unterstellt werde wie der gewerbsmäßige Detailhandel und daß zweitens dem gemeinsamen Bezuge von Waren keine behördlichen Begünstigungen irgendwelcher Art (Benützung von amtlichen Räumlichkeiten, Handelsbetrieb während der Amtsstunden usw.) gewährt werden.

Staats- und Selbsthilfe.

Nach alledem ist es verständlich, daß die Detaillisten in dem Wettbewerbe der Warenhäuser und Konsumvereine eine empfindliche Bedrängnis erblicken und eifrig nach Mitteln suchen, um ihrer Herr zu werden. Die Unterstützung des Staates darf diesen Bestrebungen nicht fehlen, aber man wird dessen eingedenk bleiben müssen, daß in der Gestaltung, die der moderne Handelsverkehr angenommen hat, der staatliche Einfluß, der auf positive Hilfe hinausläuft, wenig Raum hat. Das Lebensprinzip aller Handelstätigkeit ist die Freiheit der Bewegung; wer davon den Blick ablenkt und fremden Einflüssen sich anvertrauen will, verläßt das Erdreich, in dem der Handel wurzelt. Je mehr der Detaillistenstand die Selbsthilfe betont, um so mehr hat er andererseits das Recht, gegen wirkliche Mißstände, die zu beheben die eigene Kraft nicht ausreicht, die Hilfe des Staates anzurufen. Aber hier ist der Punkt, an dem nicht selten im Kampfe um angebliche Interessen die Übertreibung einsetzt, die mit dem Schlagwort des Rückganges oder gar Unterganges des mittleren Handels operiert. Es sei des Beispiels halber nur darauf hingewiesen, daß in dem an die Wand gemalten Todeskampfe des Mittelstandes selbst der Hausierhandel eine Rolle zugewiesen erhält, während die nackten Tatsachen ihn in bescheidenen Hintergrund drücken. In Preußen betrug nämlich der Gesamtbetrag der Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen im Jahre:

1900/1901 je 2,9 Millionen Mark
1902/03/04 je 3,0 Millionen Mark
1906/06/07/08 abwechselnd       2,9 und 3,0 Millionen Mark
1909 3,1 Millionen Mark
1910 3,2 Millionen Mark
1911 3,3 Millionen Mark

Die Stagnation des Hausierhandels, die Tatsache, daß er eine im allgemeinen überwundene Form des Kleinhandels darstellt, kann nicht besser gekennzeichnet werden als durch diese Zifferreihe.

Umwälzungen im Binnenhandel.

Wenn alle Fortschritte, die der Binnenhandel im Laufe der letzten Jahrzehnte erzielt hat, nicht haben verhindern können, daß aus den Reihen derer, die in ihm ihr Brot finden, Klagen über wachsende Erwerbsschwierigkeiten ertönt sind und täglich weiter ertönen, so ist dies zu einem wesentlichen Teil auf die Umwälzungen zurückzuführen, die in der betreffenden Zeit auf dem Gesamtgebiet des wirtschaftlichen Lebens eingetreten

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/291&oldid=- (Version vom 20.8.2021)