Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/29

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

für das System von Zuschlägen für die Gemeinden einigermaßen brauchbar. Indem gleichzeitig die mehr als ein halbes Jahrhundert alte und ganz veraltete Gewerbesteuer durchgreifend umgestaltet wurde, ist ein weiterer Fortschritt erzielt worden. Als dann diese Steuerreformen es möglich machten, auch dem Problem der Kommunalbesteuerung näher zu treten, wurde durch Überlassung fast des ganzen Ertrags der staatlichen Ertragsbesteuerung an die Gemeinden auch für diese eine zwar noch nicht ausreichende, aber doch bedeutsame Erleichterung und Verbesserung ihrer ganzen Finanz- und Steuerverhältnisse in die richtigen Wege geleitet. Die Ausdehnung der Einkommensteuerpflicht von bloß physischen Personen auf gewisse wichtige quasi juristische Personen des Privatrechts, vor allem auf die Aktien-Gesellschaft, in neuester Zeit auch auf die G. m. b. H., war zwar eine Maßregel, die nicht ganz von prinzipiellen und praktischen Gegenbedenken frei ist, aber doch auch richtige Gründe, namentlich nicht ganz unberechtigter fiskalischer Art und bedeutende fiskalische Erfolge für sich hat. Diese Reformen und ihre teilweise Fortführung über die Miquelschen hinaus haben noch keinen ganz befriedigenden Zustand, am wenigsten auf dem Gebiet der Kommunalbesteuerung, herbeigeführt; und auch in der staatlichen Einkommen- und Vermögensbesteuerung ist das Verfahren, die Gestaltung der Steuersätze, noch mannigfach mangelhaft. Die Progression der Einkommensteuer ist z. B. seit dem Miquelschen Gesetz 1891, besser als bis dahin und etwas weiter hinauf, von 3 auf 4%, hinaufgeführt, was aber noch nicht ausreicht. Dagegen ist die Vermögenssteuer noch ganz ohne Progression, ohne notwendige Unterscheidung der Vermögensarten, im Steuerfuß und in den Veranlagungsgrundsätzen. Indessen kann man auf dem nunmehr gebahnten Wege ja leichter passend weiterschreiten. Der große Fortschritt gegen die Zeit vor 1890 ist unvereinbar.

Es muß eben auch hier der Zusammenhang zwischen volkswirtschaftlicher Entwickelung und Verteilung von Volkseinkommen und Vermögen, Gestaltung der Produktion und der privaten Erwerbsverhältnisse berücksichtigt werden. So der Zusammenhang der Einkommenverteilung mit der ganzen Entwickelung der Technik, Ökonomik, Betriebsgrößen, Höhe der Einzel-Einkommen und Vermögen in der modernen Volkswirtschaft des Industrie und Exportstaates und mit der der gesamten privatkapitalistischen Organisation der Volkswirtschaft, mit der Entwickelung des beweglichen Kapitals, der Kreditformen, des Wertpapierwesens, mit der spekulativen Ausbeutung der Konjunkturen (Grundstückspekulation!), mit dem Einkommen- und Vermögenszuwachs bloß infolge des steigenden Konjunkturenwerts, vor allem gewisser Hauptarten des Grundeigentums (namentlich großstädtischen, aber auch des bergwerklichen, des mit industriellen Unternehmungen verbundenen), mit dem Umstand, daß zahlreiche Privateinkommen und Vermögen die Form des Wertpapierbesitzes und der Renten daraus annehmen, eine Form, in der sie durch indirekte Verbrauchssteuern allein und selbst durch Verkehrssteuern nicht ausreichend getroffen werden. Alle diese Verhältnisse machen die feinere Ausbildung der direkten Personalbesteuerung immer zwingender, weil nur durch diese die höheren Mittelklassen und vollends die reicheren Kreise von der Besteuerung einigermaßen genügend erfaßt werden können. Das führt auch zur allgemeineren Rechtfertigung der Forderung direkter Personalbesteuerung in der Form von Einkommen-, Vermögens- und Erbschaftssteuern mit stärker progressiven Steuersätzen und mit höheren Steuersätzen für das

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/29&oldid=- (Version vom 21.8.2021)