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Einer eingehenden Beantwortung bedarf die zweite Frage. Es ist von vornherein klar, daß sie je nach Lage des Falles scheinbar zu entgegengesetzten Schlußfolgerungen führen könnte. Ein Beruf, der vielen Personen Brot schafft, wird in der Regel hoch einzuschätzen sein; anderseits darf ein Beruf, der mit dem Aufwande eines kleinen Personals große Dienste dem gemeinen Wesen leistet, um dieser seiner Eigenart willen nicht gemißachtet werden, er wird im Gegenteil besondere Schätzung verdienen. Freilich wird die mechanische Auffassung, die gern an der greifbaren Zahl klebt, der letzteren Erwägung öfters das Anerkenntnis versagen.

Zahl der im Binnenhandel tätigen Personen.

Die Zahl der Personen, welche gegenwärtig der deutsche Handel beschäftigt, ist mit reichlich 2 Millionen anzusetzen. Diese Ziffer begreift den Handel im engeren Sinne, den Beruf der selbständigen Kaufleute und ihrer Angestellten (einschließlich der Arbeiter). Was an Handelstätigkeit in den Kontoren der Fabrikanten pp. oder im Nebenberuf geleistet wird, bleibt ganz oder großenteils außer Betracht.

Vergleicht man den Handel als unmittelbar nährendes Gewerbe mit anderen Berufszweigen, so fällt ins Auge, daß die Zahl der von ihm lebenden Personen verhältnismäßig gering ist. Nach dem Ausweise der Berufsstatistik vom Jahre 1907 machte der Anteil, den das Handelsgewerbe an der Gesamtzahl der in Deutschland gewerblich tätigen Personen hatte, nur etwas über 7% aus, und es ist anzunehmen, daß seitdem keine allzu wesentliche Verschiebung erfolgt ist. Jedenfalls liegt auch für die Gegenwart die Tatsache vor, daß die anderen großen Produktionszweige, Landwirtschaft und Industrie, ein Heer von Personen beschäftigen, gegen welches das Häuflein der Kaufleute und ihrer Angestellten verschwindet. Soweit also in den wirtschaftlichen Kämpfen, die von den Vertretern[WS 1] der verschiedenen Berufszweige ausgefochten werden, die bloße Kopfzahl als ausschlaggebendes Beweismaterial herangezogen wird, werden die Interessen des Kaufmannsgewerbes stets einen schweren Stand haben.

Die gekennzeichnete Eigenart beruht auf dem Wesen des Handelsgewerbes. Seine Tätigkeit läuft auf Vermittlung des Umsatzes hinaus, ist somit zu einem erheblichen Teil eine dirigierende, bei dem körperliche Arbeit weniger in Betracht kommt. Soweit letztere erforderlich ist, wird sie in reichlichem Umfange durch Hilfsgewerbe, Spedition, Verkehrsanstalten usw., erledigt. Der Handel ist an sich ein menschenarmes Gewerbe.

Die verhältnismäßig niedrige Zahl von Personen, welche vom Handel unmittelbar leben, hat ihm aber nicht den Vorwurf erspart, daß er überfüllt sei. Nach der (allerdings nicht genauen) Statistik ernährte der deutsche Handel im Hauptberufe:

i. J. 1882   842 269 Personen
i. J. 1895 1 205 134 Personen
i. J. 1907 1 739 910 Personen

Man kann darnach annehmen, daß die Zahl der Beschäftigten sich in den letzten 25 Jahren um etwa 100% vermehrt hat. In eben dieser Zeit stieg die Bevölkerung

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vertretern
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/283&oldid=- (Version vom 20.8.2021)