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Dies gilt im allgemeinen auch von der Einteilung des Handels in Groß- und Kleinhandel. Der Großhändler oder Grossist verabfolgt die Ware nicht an den Verbraucher, sondern an jemanden, der die Ware, im Urzustande oder verarbeitet, weitergeben will, also an den Wiederverkäufer; der Kleinhändler oder Detaillist steht auf der letzten Station des Weges, den die Ware durchmißt, er verabfolgt diese unmittelbar an den Verbraucher. Es bedarf keiner langen Ausführung, daß die Bezeichnungen „Großhandel“ und „Kleinhandel“ mit dem Umfange des Umsatzes nichts zu tun haben; die Wahl dieser Ausdrücke – sie ist nicht besonders glücklich – gründet sich lediglich darauf, daß regelmäßig im Verkehr zwischen einem Großhändler und einem Wiederverkäufer die Waren in größeren Abschnitten, im Verkehr zwischen Kaufmann und Verbraucher dagegen in kleineren Portionen abgegeben werden. Schon die verschwindenden Begriffe, die hier zur Anwendung kommen (Groß und Klein), lassen erkennen, daß zwischen Groß- und Kleinhandel keine Gegensätze bestehen, daß sie vielmehr Schößlinge aus derselben Wurzel sind. Der Großhandel verdankt, wie der Handel überhaupt, sein Daseinsrecht dem Nutzen der Arbeitsteilung, aber auf kaum einem Gebiete des Handels ist dieser Gesichtspunkt zu einer so strengen Anerkennung gelangt wie eben beim Großhandel. Er ist das Vermittlungsgewerbe in reinster Form und stützt sich einzig und allein auf die Bedeutung, welche der Vermittlung, dem Dazwischentreten einer dritten Instanz, im wirtschaftlichen Leben zukommt. Mögen auf anderen Gebieten des Handels Herkommen und Gebräuche eine Rolle spielen, also Momente von nicht reinwirtschaftlichem Charakter, auf dem Gebiete des Großhandels gibt es keine Einflüsse, die die gerade Linie der ökonomischen Entwicklung durchkreuzen. In dem Augenblicke, wo der Großhandel seiner Aufgabe, den Übergang der Ware von der Produktion zur Vertriebsstelle zu erleichtern, nicht genügt, hat seine Stunde geschlagen, und keine Macht der Welt vermag sein Schicksal auch nur um eine kurze Spanne Zeit aufzuhalten; anderseits vermögen keine Vorurteile, kein Mißwollen ihm den Herrschaftsbereich um Haaresbreite zu kürzen. Er trägt dem Regulator in sich selber. Hier kommen die Erwägungen, welche für das Daseinsrecht des Handels überhaupt sprechen, in höchster Potenz zur Geltung.

Die Zahl der Personen, die im Großhandel tätig sind, ist naturgemäß gering gegenüber der Zahl der dem Kleinhandel angehörigen. Seine wirtschaftliche Bedeutung ragt aber über die Kopfzahl weit hinaus. Auch in ethischer Beziehung trifft dies zu. Der Großhandel, dessen Lebenselement die Freiheit des Verkehrs ist, der deshalb jedes Mittel künstlicher Förderung verschmäht, hat zu der Schar der Kaufleute, die mit weitem Blick die Bedürfnisse des Lebens zu erfassen vermögen, stets ein ansehnliches Kontingent gestellt.

Was den Standort des Handels anbelangt, so sind die Gründe, welche für die Wahl desselben entscheidend sind, bei Groß- und Kleinhandel nicht die gleichen. Die Regel wird sein, daß der Großhandel sich mehr in der Nähe der Produktionsstätten ansiedelt, also die Vorteile des Einkaufes voranstellt, während der Kleinhandel, für den die Verkaufsseite von größerer Wichtigkeit ist, dem Sitze des Verbrauchs nahezurücken sucht. Die fortschreitende Verbesserung der Verkehrswege mildert aber jene Verschiedenheit; der Großhandel, der ehedem mit Vorliebe an den Außenrändern des Staates,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/280&oldid=- (Version vom 20.8.2021)