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von Kautschuk und Guttapercha, Mineralöl usw. Deutschland hat in bezug auf seine wichtigsten Rohstoffe heute einen Grad der Abhängigkeit vom Auslande erreicht, der für seine gewerbliche Produktion von ausschlaggebender Bedeutung ist.

Die so übernommenen Auslandsverpflichtungen müssen bezahlt werden. Es geschieht dies durch die Mehrausfuhr von Fabrikaten und Halbfabrikaten, die sich im letzten Menschenalter, wie schon bemerkt, einer erstaunlichen Zunahme erfreuten. An der Spitze der deutschen Ausfuhr von Fabrikaten und Halbfabrikaten stehen Metallwaren, Maschinen und Fahrzeuge, Gewebe und Chemikalien. Der Ausfuhrüberschuß an Metallwaren betrug im Jahre 1872 41, im letzten Jahre aber weit über eine Milliarde Mark. Der Ausfuhrüberschuß an Maschinen usw. ist von 33 auf ca. 700 Millionen Mark gestiegen. Im Hinblick auf Chemikalien hat der Einfuhrüberschuß von 1872 in einen Ausfuhrüberschuß von etwa 300 Millionen Mark umgewandelt werden können. Nicht ganz so günstig steht die Textilindustrie da, die ihren Ausfuhrüberschuß nur verdoppelt hat. Garne zeigen sogar noch eine Mehreinfuhr. Immerhin liefern wir dem Auslande heute für eine Milliarde Mark Textilprodukte, der nur eine Einfuhr von 500 Millionen Mark gegenübersteht. Besonders günstig hat sich die Ausfuhr von Papier und Papierwaren, Leder, Lederwaren, Filz- und Rauchwaren entwickelt. Es würde jedoch zu weit führen, darauf im einzelnen einzugehen.

Wohl aber sei den Herkunfts- und Bestimmungsländern des deutschen Außenhandels ein Blick zugewendet. Die Vergleichsbasis ist hier freilich erst seit dem Jahre 1889 gegeben. Der Außenhandel verteilte sich in den Jahren 1889 und 1912 wie folgt.:

  1889 1912
Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr
Total in
Mill. Mark
in Prozent
der Gesamt-
einfuhr
Total in
Mill. Mark
in Prozent
der Gesamt-
ausfuhr
Total in
Mill. Mark
in Prozent
der Gesamt-
einfuhr
Total in
Mill. Mark
in Prozent
der Gesamt-
ausfuhr
1. Europa 3 239,9 79,5 2 509,7 77,1 6 008,0 56,2 6 743,6 75,4
2. Afrika 39,6 0,9 22,1 0,7 478,6 4,5 185,3 2,1
3. Asien 128,2 3,1 84,3 2,6 1 006,3 9,4 420,2 4,8
4. Amerika 635,4 15,6 613,6 18,9 2 885,4 27,0 1 496,4 16,7
5. Australasien und Polynesien 35,1 0,9 23,5 0,7 304,2 2,9 99,9 1,0
2−5 zusammen 838,3 20,5 743,5 22,9 4 674,5 43,8 2 201,8 24,6

Die Zahlen sind in mancherlei Beziehung bedeutsam. An der Spitze steht in beiden Jahren Europa. Das Verhältnis zwischen ihm und den andern Erdteilen hat sich aber doch sehr verschoben. Der Anteil Europas am deutschen Außenhandel betrug in der Einfuhr 1889 79,5 %, im Jahre 1912 aber nur 56,2%! An der Ausfuhr war Europa 1889 mit 77,1% beteiligt, im Jahre 1912 mit 75,4%. In diesen Zahlen prägt sich der vermehrte Bezug von Nahrungs- und Genußmitteln und Rohstoffen deutlich aus. Man muß sich vergegenwärtigen, was es für die Erweiterung der weltwirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands heißt, daß in dem kurzen Zeitraum von 23 Jahren sein Bezug aus dem nichteuropäischen Ausland von 20 auf 43% der gesamten Einfuhr gestiegen ist! Der europäische Absatz Deutschlands beruht je länger desto mehr auf außereuropäischer Einfuhr.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/274&oldid=- (Version vom 20.8.2021)