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Im Durchschnitt der Jahre 1907–1912 (neue Regelung der Einfuhrscheine) ergibt sich eine Preisdifferenz von 49,3 M., also etwa in der Höhe des Börsenwertes der Einfuhrscheine per 1000 kg.

Getreidepreise und Produktionskosten.

Wenn man nun der Meinung ist, daß angesichts der gestiegenen Produktionskosten und Bodenpreise der Weizen durchschnittlich einen Preis von etwa 195 M., der Roggen von 175 M. haben muß, um eine hinreichende Rentabilität des Getreidebaues in Deutschland zu sichern, so läßt sich nicht verkennen, daß ohne die Zollerhöhung dieser Preisstand beim Roggen überhaupt nicht, beim Weizen mit Ausnahme des Jahres 1909 nicht erreicht worden wäre. Insonderheit würden die Roggenpreise in den letzten Jahren eine Entwicklung genommen haben, die mit den heutigen Produktionskosten nicht im Einklang zu bringen gewesen wäre. Es rechtfertigt sich deshalb die Auffassung, daß die Erhöhung der Zölle für den Getreidebau eine im ganzen erwünschte Maßnahme war, die in etlichen der Vergleichsjahre zwar völlig überflüssig gewesen wäre, durchschnittlich jedoch jene Preisentwicklung sicherte, die – wie die Dinge nun mal liegen – in Deutschland notwendig ist. Dabei ist im Auge zu behalten, daß ein Getreidezoll, der für 12 Jahre festgelegt werden soll, nicht nach den möglichen höchsten Preisen normiert werden darf, sondern den starken Preisschwankungen gerecht werden muß. Solange deshalb an dem festen Zoll festgehalten wird, sind ungewöhnlich hohe Preise bei steigenden Weltmarktpreisen nicht zu umgehen, wenn auch bei niedrigen Weltmarktpreisen ein dem deutschen Getreidebau die Rentabilität sicherndes Preisniveau erhalten werden soll. Es läßt sich nicht verkennen, daß damit der übrigen Bevölkerung, insonderheit der Industrie, schwere Opfer auferlegt werden, die im Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt ihre Wirkung tun. Soll aber der Getreidebau in Deutschland auf der Basis der jetzigen Bodenpreise erhalten bleiben, so läßt sich dies nicht vermeiden. Doch auch von hier aus drängt sich die Frage auf, ob diese Opfer nicht dadurch der Minimalgrenze näher gerückt werden könnten, daß, innerhalb des Systems der Handelsverträge, eine gleitende Skala für Getreidezölle normiert würde, die zwar auskömmliche Preise sicherte, ungewöhnlich hohe Preise aber verhinderte. Im übrigen wird uns das „Industrieproblem“ weiter unten beschäftigen.

Wenden wir uns jetzt noch kurz den andern Getreidearten, Hafer und Gerste, zu. Die Mehreinfuhr von Hafer spielt keine nennenswerte Rolle (3–4% des Bedarfs), während Gerste heute bereits zu 46% aus dem Ausland bezogen wird. Von den in Deutschland im Jahre 1912 netto bezogenen 29,7 Mill. Doppelzentnern waren nur 2,1 Mill. Doppelzentner Malzgerste, die mit 4 M. verzollt wird, während der Rest auf „andere Gerste“, Futtergerste, (1,30 M.) fällt. Der deutschen Viehzucht ist dadurch im letzten Jahre eine Erhöhung der Produktionskosten um 35,8 Mill. M. auferlegt worden, sofern davon ausgegangen wird, daß auch dieser Zoll vom Inland getragen wird, was aber nur teilweise der Fall ist. Die Preisentwicklung für Gerste und Hafer hat seit 1902 die folgende Entwicklung genommen:

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/266&oldid=- (Version vom 20.8.2021)