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der europäischen Staaten eine Unsicherheit getragen würde, die zu den schwersten Erschütterungen des wirtschaftlichen Gleichgewichts führen müßte.

Ist somit die neueste deutsche handelspolitische Ära in ihrer bedeutsamsten Ausdrucksform nichts anderes als die unmittelbare und erfolgreiche Fortführung der bewährten Caprivischen Politik, so ergibt sich im Hinblick auf die den Verträgen zugrunde liegenden Zollsätze allerdings ein tiefgreifender Unterschied. Das ganze Zollniveau des Verkehrs unter den Vertragsstaaten und damit zwischen Deutschland und fast allen andern Staaten der Erde (mit Ausnahme des aktiven Verkehrs mit England und den wenigen andern Freihandelsländern) hat sich erhöht. Daß daraus an sich schon zahlreiche Schwierigkeiten für den internationalen Verkehr entstehen, liegt auf der Hand. Immerhin kommt dies erst in zweiter Linie in Frage. Wichtiger ist, welches im einzelnen die Rückwirkung jener Zollerhöhungen auf das deutsche Wirtschaftsleben gewesen ist und noch ist. Zweckmäßig geschieht die Beantwortung dieser Frage im Rahmen einer systematischen Darstellung des deutschen Wirtschaftslebens, soweit es zum Außenhandel überhaupt Beziehungen hat.

II.

Bevölkerungsvermehrung.

Ausgangspunkt der Betrachtung sei die Bevölkerungsvermehrung. Auf dem heutigen Gebiet des Deutschen Reiches betrug die Bevölkerung im Jahre:

1816   24,8 Millionen
1830 29,4 Millionen
1870 40,8 Millionen
1890 49,4 Millionen
1910 64,9 Millionen

Für das Jahr 1913 wird die Bevölkerung des Deutschen Reiches auf 67 Mill. geschätzt, seit 1871 mithin eine Vermehrung um 63%. Seit geraumer Zeit beläuft die Bevölkerungszunahme sich auf 800 000/900 000 Menschen. Es darf trotz rückläufiger Tendenzen in der Geburtenfrequenz damit gerechnet werden, daß wir in etwa 20 Jahren 75–80 Mill. Menschen innerhalb unserer Reichsgrenzen haben werden. Diese starke Bevölkerungsvermehrung findet bekanntlich verschiedene Beurteilung. Es wird aber daran festzuhalten sein, daß Deutschland, inmitten des europäischen Kontinents fast überall auf Landgrenzen stoßend, im Interesse der Behauptung seiner nationalen Machtstellung auf eine starke Bevölkerung angewiesen ist. Man vergegenwärtige sich nur, welche Rolle Deutschland heute spielen würde, wenn seine Bevölkerungsbewegung dieselbe Entwicklung genommen hätte wie diejenige Frankreichs!

Ernährungsfrage.

Wichtig ist nun freilich nicht nur die quantitative, sondern auch die qualitative Beschaffenheit der Bevölkerung. Es entsteht deshalb die Frage, ob die deutsche Volkswirtschaft imstande ist, den im Interesse unserer politischen Stellung erwünschten Bevölkerungszuwachs mit Arbeit und Nahrung zu versorgen. Die Antwort geht dahin, daß dies nur durch eine starke Entwicklung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/260&oldid=- (Version vom 20.8.2021)