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Neue Tarifverträge sind unter Hohenlohe nicht abgeschlossen worden. Die unter ihm zustande gekommenen Verträge beschränkten sich auf die Gewährung der Meistbegünstigung.

Die Handelspolitik unter dem Fürsten Bülow.

Alle diesen „kleinen Mittel“ traten aber zurück hinter dem Bestreben, die künftige Erneuerung der Caprivischen Verträge nicht „als bloße Abschriften der jetzt bestehenden Verträge“ hinzunehmen. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf die wechselreiche Geschichte dieser Vorbereitungszeit einzugehen, die ihren Ausgangspunkt nimmt von der berühmten Hildesheimer Rede Miquels mit der Parole der „Sammlung“, eine Neubelebung der Bismarckschen Solidarität der protektionistischen Interessen von Landwirtschaft und Schwerindustrie zeitigte und schließlich – unter dem Reichskanzler von Bülow, der im Herbst 1900 Nachfolger Hohenlohes geworden war – in der Nacht des 13. Dezember im Reichstag zur Annahme des Zolltarifs von 1902 führte. Wir müssen uns darauf beschränken, den jetzt hergestellten Zustand demjenigen der Ära Caprivi gegenüberzustellen. Der neue Tarif unterscheidet sich von seinem Vorgänger zunächst einmal dadurch, daß er auf der ganzen Linie eine Erhöhung der Sätze bringt, ohne allerdings ein sog. „lückenloser Tarif“ zu sein. Bei der Aufstellung der 946 Positionen ist man den Wünschen der Interessenten in ungewöhnlichen Maße entgegengekommen. Hierbei ist freilich weniger die Absicht leitend gewesen, den Tarif auch wirklich anzuwenden, als vielmehr das Bestreben, bei künftigen Verhandlungen ein Rüstzeug in der Hand zu haben. Die Regierung hat denn auch alle auf einen Doppeltarif gerichteten Wünsche abgelehnt, da sie sich auf eine untere Grenze für die von ihr zu gewährenden Konzessionen nicht festlegen wollte. Nur bei den 4 Hauptgetreidearten hat sie in Minimalsätze eingewilligt. Im Tarif ist für Weizen ein Zoll von 7,50 M., für Roggen, Gerste und Hafer ein solcher von 7 M. vorgesehen. Das Zolltarifgesetz sagt nun, daß diese Zollsätze durch vertragsmäßige Abmachungen

bei Roggen nicht unter   5,00 M.
bei Weizen und Spelz nicht unter 5,50 M.
bei Malzgerste nicht unter 4,00 M.
bei Hafer nicht unter 5,00 M.

für einen Doppelzentner herabgesetzt werden sollen. Faktisch bedeutet dies mit Rücksicht auf die gegenüber den Nichttarifländern bestehende Meistbegünstigungsklausel, daß der hier angegebene Satz schlechtweg zur Anwendung kommt. Es ist somit der Satz von 1887 wiederhergestellt worden, bei Weizen sogar um 50 Pf. darüber hinausgegangen. Auch die meisten der andern agrarischen Positionen (einschl. wichtiger Futtermittel) sind namhaft erhöht oder neu eingeführt worden, so vor allem die Zölle für Pferde, Vieh und tierische Produkte. Ermäßigt wurden die Sätze für Futtergerste.

Einfuhrscheine.

Eine wichtige Änderung erfuhr ferner das System der Einfuhrscheine. Im Jahre 1879 war gleichzeitig mit dem Zolltarif der

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/256&oldid=- (Version vom 20.8.2021)