Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/25

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wurde, ist nicht aus den Augen zu verlieren, wenn auch gerade die damaligen Erfahrungen und alle späteren die großen Schwierigkeiten, dem Ziel sich zu nähern, gezeigt haben und es erklären, daß so manche Blütenträume nicht reiften. Aber auch die spontane autonome Entwickelung einer Gesetzgebung kann sich hier in der Arbeiterversicherung, wie sich ja auch gezeigt hat, unter dem Impuls aufgeklärter öffentlicher Meinung und unter der Initiative tüchtiger Praktiker und Theoretiker in der gewünschten Richtung entwickeln.

Kredit- und Bankwesen.

Von anderen Seiten der volkswirtschaftlichen Entwickelung sei hier nur noch Weniges erwähnt. Auf einem der wichtigsten und immer noch wichtiger gewordenen Gebiete, dem Kreditwesen und der Kreditorganisation, ist das Notenbankwesen schon in der ersten Reichszeit unter Berücksichtigung der historisch gewordenen Verhältnisse in die Richtung der größeren, wenn auch nicht vollständigen Zentralisation hinübergeführt worden, namentlich durch die Bildung der Reichsbank aus der Preußischen Bank heraus und durch Regelung der gesamten Notenbanken und des Notenumlaufs. Durch die Reichsbank, die sich als Notenbank und zugleich als Depositenbank und Bank für den Giroverkehr, als Hauptglied für Wechseldiskontierung und Lombardierung mit ihrem großen Filialnetz eine Stellung erhalten und weiter ausgebaut hat, durch welche sie unter den ersten bezüglichen Instituten der Welt eine erste und günstigste Stellung einnimmt, ist die volle Herrschaft über Geld- und Kreditmarkt ebenfalls dem bloßen Privatkapital mit seinen Einrichtungen (Börse, Banken usw.) vorenthalten geblieben. Aber die Vormacht des stark konzentrierten und unter sich wieder vielfach kartellierten und zu gemeinsamen Geschäftsaufgaben verbundenen Privatkapitals ist dadurch doch nur etwas, jedoch nicht mehr ausreichend beschränkt geblieben. Durch sehr bedeutende Ausdehnung ihres durch eigene Depositenkassen als Filialen neuerdings entwickelten Depositengeschäfts und Scheckwesens und durch Hinzunahme der Emissionstätigkeit auf dem Gebiet öffentlicher Anleihen und der Erwerbsgesellschafts-, namentlich Aktien-Gesellschaftsgründung, zu den alten normalen Hauptaktivgeschäften des modernen Bankwesens, durch Verbindungen unter sich zu großen, gemeinsam operierenden Geschäftsgruppen, durch Kreditgewährung in mancherlei Form, wie sie die Bedürfnisse von Handel, Industrie und Bergbau mit sich bringen, hat eine Anzahl dieser Banken sich zu großen spekulativen Geschäftsunternehmungen, sogenannten Effektenbanken, entwickelt. Sie erscheint damit als zwar wesentlich geläutertes, aber doch als fortgebildetes Banksystem nach dem Typus des Pereireschen Crédit mobilier aus der Zeit des zweiten französischen Kaiserreichs. Die größte und wichtigste Gruppe davon, die sogenannten Berliner Großbanken, stellen einen eigentümlichen Typus dieses modernsten Bankwesens dar und haben für einen großen Teil der deutschen Volkswirtschaft und für deren Eingliederung in die Weltwirtschaft durch ihre Kreditvermittelung die schon in der vorausgehenden Periode begründete machtvolle, zum Teil beherrschende Stellung aus dem Geld- und Kreditmarkt immer völliger errungen. Von gesetzgeberischer Intervention sind sie aber bisher wenig berührt worden, obgleich ihre Beanspruchung der Kreditgewährung der Reichsbank, ihre großen Forderungen um Unterstützung bei den Ultimoterminen des Börsenverkehrs, ihre große Summe von stets rückzahlbaren

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/25&oldid=- (Version vom 14.2.2021)