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Der auswärtige Handel
Von Prof. Dr. Bernhard Harms, Kiel


I.

Jede Darstellung des Außenhandels eines Landes hat anzuknüpfen an die Linienführung seiner äußeren Handelspolitik. Das Deutsche Reich hat in dieser Beziehung bekanntlich eine wechselreiche Geschichte. Unmittelbar nach Gründung des Reiches machte die seit den sechziger Jahren schon im Zollverein stark zur Geltung gekommene freihändlerische Strömung solche Fortschritte, daß nach dem am 1. Januar 1877 erfolgten restlosen Inkrafttreten des Zolltarifs von 1873 Deutschland ein Freihandelsland genannt werden konnte. Durch den im Jahre 1879 zur Einführung gelangenden Zolltarif wurde jedoch grundsätzlich und tatsächlich der Umschwung in der Richtung des Schutzzolles herbeigeführt.

Die Handelspolitik unter Bismarck.

Charakteristisch für die nun einsetzende Handelspolitik war einmal der umfassende Zollschutz der „nationalen Produktivkräfte“ in Landwirtschaft und Industrie, sowie zum andern die möglichst konsequente Durchführung der „autonomen“ Handhabung des Zolltarifs und dementsprechend die bewußte Fernhaltung von differenzierter Vertragspolitik. Die Zollsätze an sich waren zunächst von geringer Bedeutung, gemessen an heutigen Verhältnissen sogar ohne Bedeutung. Weizen, Roggen und Hafer z. B. bezahlten nach dem Tarif von 1879 nur 1 M. für 100 kg. Auch die Zölle auf Eisen und Textilwaren hielten sich auf bescheidener Höhe. Die Steigerung ließ indessen nicht lange auf sich warten. Der Tarif von 1887 belegte Roggen und Weizen schon mit einem Zoll von M. 5.– und brachte überdies eine Steigerung der Zölle auf andere agrarische Produkte, vornehmlich auf Vieh und Holz. Auch die Industriezölle wurden seit 1879 sehr erheblich und in rascher Folge erhöht.

Auf die Gründe, die unter Bismarcks Führung zu dem handelspolitischen Umschwung des Jahres 1879 hingeführt haben, kann hier nicht eingegangen werden, da die vorliegende Abhandlung es mit der nachbismarckischen Zeit zu tun hat. Wohl aber muß, um den Boden für die weiteren Ausführungen zu finden, mit einigen Worten der Entwicklung des Außenhandels in jener Zeit gedacht werden. Der deutsche Außenhandel (Spezialhandel) belief sich im Jahre 1872 auf 5956,8 Mill. Mark, um bis zum Jahre 1879 auf 6708,9 Mill. Mark zu steigen. Im Jahre 1891 erreichte der Außenhandel eine Höhe von 7743,2 Mill. Mark. In der ersten Periode demnach eine durchschnittliche Steigerung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/246&oldid=- (Version vom 20.8.2021)