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eine geringe Spannung in der Masse ein. Man kann daher Quarzglaskörper plötzlich in eine Knallgasflamme bringen, ohne daß sie springen. Ferner brauchen die Körper nach der Fertigstellung nicht gekühlt zu werden. Auf eine weißglühende Quarzröhre kann man ohne Schaden Wasser tropfen lassen oder sie in kaltes Wasser oder sogar in flüssige Luft, deren Temperatur fast 190 Grad unter Null beträgt, tauchen. Anstatt des Quarzes, der bekanntlich im wesentlichen aus Kieselsäure besteht, werden auch andere an Kieselsäure reiche Stoffe von großer Reinheit auf Quarzglas verarbeitet, insbesondere Sande. Man kennt solche Sande von Nievelstein in der Rheinprovinz, von Lemgo und von Hohenbocka, deren Kieselsäuregehalt 99,7 Prozent beträgt, so daß sie für die Technik als genug rein gelten können.

Eine wichtige Anwendung hat das Quarzglas in den Schwefelsäurefabriken gefunden. Das gewöhnliche Verfahren der Schwefelsäuregewinnung in Bleikammern liefert eine verdünnte Säure, die für viele technische Werke zu schwach ist und deshalb durch Eindampfen weiter konzentriert werden muß. Bisher konnte man die letzte Konzentration nur in teuren Platinapparaten vornehmen. Ein einziger derartiger Apparat stellt schon an sich ein Kapital dar. Außerdem wird selbst das Platin abgenützt. Aus dem neuerfundenen Quarzglas lassen sich für einen billigen Preis ebenso gute Konzentrationsapparate schaffen. Auch für die Darstellung von Salpetersäure wählt man jetzt Apparate aus Quarzglas. Die Woulfschen Maschen und Rohrschlangen, welche die bei der Gewinnung überdestillierende Salpetersäure aufnehmen und verdichten, wurden gewöhnlich aus Steinzeug hergestellt. Wegen der sorgsamen Bearbeitung und der schwierigen Formate stehen diese Geräte im Preise hoch. Da das Steinzeug Temperaturschwankungen schlecht verträgt und leicht Schaden nimmt, ist das allerdings teurere, aber gegen Temperaturschwankungen unempfindliche Quarzglas ein vorzüglicher Ersatz der alten Geräte.

Um die Entwickelung der Quarzglasindustrie hat sich die Firma Heräus in Hanau die größten Verdienste erworben. Durch die neue Errungenschaft konnten große Mengen des seltenen und kostbaren Platins anderen nützlichen Zwecken zugeführt werden.

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So sehen wir, daß die deutsche Industrie der Steine und Erden von erheblicher Bedeutung ist. Sie wird gemeiniglich nicht sehr beachtet. Ihre Arbeit vollzieht sich nicht unter den herrlichen Flammenerscheinungen des Hüttenwesens oder mit der gewaltigen Kraftentfaltung der Riesenhammerwerke und Werften. Aber die Straßen, die Paläste, die Dome reden eine, wenn auch stille, so doch eindringliche Sprache. Das, was hier geleistet ist, stellt die Frucht einer gesegneten Friedensarbeit dar, auf welche deutsche Fabrikanten und Arbeiter stolz sein dürfen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/193&oldid=- (Version vom 1.10.2017)