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Cassella & Co. in Frankfurt a. M. mit den Hydron- und Kalle & Co. in Biebrich mit den Thioindigo-Farbstoffen. Dieser Farbstoffklasse gehört anscheinend die Zukunft. Mit ihrer Hilfe war es möglich, die jetzt viel begehrten wasch- und kochbaren Kleider-, Blusen-, Hemden-, Schürzenstoffe, Tischdecken usw. in schönen und lebhaften Farben herzustellen. Hier ist es die Färberei gewesen, welche anregend und fördernd auf die Mode eingewirkt hat, denn wie hätte sonst das Publikum beispielsweise waschbare Blusen in klaren und hellen Farben verlangen können, wenn nicht die Färberei imstande wäre, diese herzustellen. Es ist bedauerlich, daß derartige Ansprüche bei dem Publikum so vereinzelt auftreten und dasselbe sich in den weitaus meisten Fällen mit weniger echten und dafür etwas billigeren Farben begnügt. Die heutige Färberei würde in der Lage sein, für alle Industriezweige viel schönere und echtere Farben herzustellen, als sie jetzt durchschnittlich verlangt werden. Auch in lichtechten Farben ist die Baumwollfärberei leistungsfähig. Tapeten, Möbel- und Dekorationsstoffe usw. können viel lichtechter hergestellt werden, als das Publikum sie heute verlangt.

Wohl auf keinem Gebiete der Textilindustrie ist die Echtfärberei so einfach wie in der Wollfärberei. Die vor dem Jahre 1888 üblichen Verfahren des Beizens der Wolle mit Chrom oder Tonerdesalzen in der Siedehitze und nachfolgendes Ausfärben mit Alizarinfarben wurde nach und nach aufgegeben. Man vollzieht das Beizen und Färben heute in einer Operation und spart dadurch an Zeit, Arbeitslohn und Dampf und schont die Wolle. Trotz der einfachen Färbeweise sind die erhaltenen Färbungen hervorragend walk-, wasch- und lichtecht. Sie können zum Färben der Herrenkleiderstoffe unbedenklich verwendet werden, sogar Uniformstoffe, an deren Echtheit die höchsten Anforderungen gestellt werden, können auf diese Weise gefärbt werden.

Im Färben der edelsten Faser, der Seide, sind weniger große Fortschritte zu verzeichnen. Das eigentliche Färben geschieht hier noch fast genau so wie vor 25 Jahren, nur sind die verwendeten Farbstoffe teilweise etwas andere geworden. Holz- und Naturfarben werden noch viel verwendet. Für Schwarz wird vor allem Blauholz und der Katechu noch in kolossalen Mengen verbraucht und diese Naturfarbstoffe konnten bisher noch durch keinen Ersatz verdrängt werden. Erst neuerdings führen sich die Küpenfarbstoffe ein. Im Gegensatz hierzu sind die Fortschritte, die auf dem Gebiet der Seidenerschwerung gemacht worden sind, außerordentlich große. Bekanntlich verliert die Seide während des Färbeprozesses 20–30% ihres Gewichtes dadurch, daß sich der Bast von dem Seidenfaden ablöst. Diesen Verlust auszugleichen, ist man von jeher bestrebt gewesen. Das neueste Verfahren, das J. N. Neuhaus in Krefeld im Jahre 1892 brachte, besteht darin, daß man die Seide abwechselnd mit Zinnchlorid, phosphorsaurem Natron und Wasserglas behandelt. Diese sogen. Zinnphosphatsilikatcharge fand rasch Eingang in die Technik, und heute wird wohl jede zu erschwerende Seide nach diesem Verfahren, das nur kleine Abänderungen erfahren hat, behandelt. Mit der Beschwerung der Seide tritt gleichzeitig auch eine Volumvermehrung des Fadens ein, und dieses ist es wohl, welches in der Hauptsache dazu beigetragen hat, daß die erschwerte Seide sich beim Fabrikanten und auch beim laufenden Publikum so großer Beliebtheit erfreut. Durch die Volumvermehrung ist der Fabrikant imstande, mit der gleichen Menge Seide bedeutend

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/165&oldid=- (Version vom 29.1.2017)