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gewonnenen Indigo und dem aus der Krappflanze hergestellten, für Türkischrot benutzten Alizarin, auch keine große Echtheit aufwiesen, und daß die anscheinend echte Färbung alter Gewebe nur darauf zurückzuführen ist, daß sie unter vermindertem Zutritt von Luft und Licht aufbewahrt werden, dagegen gleichfalls schnell verblassen, wenn sie der Luft und dem Licht ausgesetzt werden, wie Lessing im Berliner Kunstgewerbemuseum festgestellt hat. Der anscheinende Fehlschlag mit den ersten künstlichen Farbstoffen hat zur Folge gehabt, daß heute noch ein allgemeines Mißtrauen gegen jeden künstlichen Farbstoff herrscht, trotzdem es inzwischen gelungen ist, Farben herzustellen, die bei weitem echter sind als die Naturfarben und trotzdem auch für Indigo und Türkischrot vollwertiger Ersatz gefunden worden ist. Die künstliche Herstellung des Farbstoffes der Türkischrots gelang den Chemikern Gräbe und Liebermann in den 60er Jahren und die des Indigos A. v. Bayer im Jahre 1888, zunächst jedoch ohne Möglichkeit der praktischen Verwendung. Dies erreichte die Badische Anilin- und Sodafabrik erst im Fahre 1896. Der Erfolg dieser beiden wichtigsten Entdeckungen war ein derartiger, daß heute von dem Anbau des Krapps, sowie des natürlichen Indigo, kaum noch die Rede sein kann. Die Ausgabe Deutschlands für Indigo allein betrug zirka 70–80 Millionen M. jährlich. Heute bleibt nicht nur dieses Geld im Lande, sondern es wird jährlich noch für etwa 50–60 Millionen M. Indigo aus Deutschland ausgeführt. Für Alizarin sind die Zahlen ganz ähnliche, während früher 50 Millionen M. für Krapp an Frankreich bezahlt wurden, ist heute die Einnahme Deutschlands für Alizarin viermal so hoch. Der Nutzen, den die deutsche Volkswirtschaft von diesen Entdeckungen gehabt hat, wird mit über 1 Milliarde gewiß nicht zu hoch eingeschätzt.

Die genannten echten Farben kommen nur für ganz bestimmte Zwecke der Textilindustrie zur Verwendung, für die Farben des täglichen Gebrauchs war die Auffindung des ersten künstlichen Farbstoffes, der die Baumwolle ohne Vorbehandlung färbte, von größter Bedeutung. Der erste derartige Farbstoff, Benzidin, ist schon im Jahre 1884 entdeckt worden, aber erst in den Jahren 1895–1900 wurden die Holzfarben hierdurch allmählich verdrängt, nach dem man gelernt hatte, die Echtheit dieser Färbungen durch Nachbehandeln zu verbessern. Vervollständigt wurden diese direkten Farbstoffe durch die Gruppe der sogen. Schwefelfarbstoffe, die sich seit 1900 immer mehr einbürgerten. Heute können die Holzfarben in der Baumwollfärberei als fast vollständig verdrängt angesehen werden. Nur für Schwarz und wenige Spezialartikel wird das Blauholz noch verwendet. In früherer Zeit hatte man sich daran gewöhnt, daß eine echte Farbe nicht gleichzeitig einen sehr lebhaften Farbton zeigen konnte. Von dem Jahre 1902 ab führte sich jedoch eine neue Klasse von Farbstoffen in der Färberei ein, die in bezug auf Licht-, Wasch- und Chlorechtheit selbst den bis dahin echtesten Farben, Indigo und Türkischrot, noch weit überlegen war und dabei eine unübertroffen lebhafte und klare Nuance zeigte. Man bezeichnet diese Masse von Farbstoffen als Küpenfarbstoffe. Fast alle Farbenfabriken sind mit Erzeugnissen dieser Klasse herausgekommen, die Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen mit den Indanthren-, die Farbenfabriken vormals Bayer & Co. in Leverkusen mit den Algol-, die Farbwerke vormals Meister Lucius & Brüning in Höchst mit den Helindon-, Leopold

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/164&oldid=- (Version vom 7.1.2017)