Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/161

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

herzustellen. Der Faden wird bei diesem Verfahren durch Eintretenlassen der Spinnflüssigkeit in saure oder alkalische Fällungsbäder gebildet. Das erhaltene Produkt führt die Handelsbezeichnung Glanzstoff. Die bahnbrechende Erfindung auf diesem wichtigen Gebiete ist im Jahre 1897 gemacht worden. Bei der Ausarbeitung des Verfahrens und seinen Verbesserungen sind die Erfinder Bronnert, Fremery, Urban und Pauly sowie die Glanzstoffabriken in Elberfeld beteiligt. Wegen der im Anfange der Fabrikation zu überwindenden großen Schwierigkeiten vermag das Kupferoxydammoniakverfahren erst seit dem Jahre 1900 dem Chardonnet-Verfahren erfolgreich Konkurrenz zu machen. Die weitaus größte Menge an Kupferoxydammoniakseide wird in Deutschland und hier vor allem von den vereinigten Glanzstoffabriken in Elberfeld hergestellt. Diese fabrizierten schon 1897 etwa 1 Million kg Glanzstoff. Heute sind es über 2 Millionen kg Glanzstoff, wozu zirka 4000 Personen in kontinuierlichem Tag- und Nachtbetrieb erforderlich sind. Das werbende Kapital der Gesellschaft beträgt 19 Millionen Mark. Die dritte, unter dem Namen Viskoseseide im Handel befindliche Sorte von Kunstseide wird durch Lösung von Alkalizellulose in Schwefelkohlenstoff erhalten. Das Verfahren ist durch die Werke des Fürsten Donnersmarck in Sydowsaue für die Praxis ausgearbeitet und im Jahre 1911 von den Elberfelder Glanzstoffabriken angekauft worden. Die Viskoseseide verursacht von allen bis jetzt bekannten Kunstseidensorten die niedrigsten Herstellungskosten. Sie übertrifft in bezug auf Weichheit und Glanz den Glanzstoff und ergibt in der Weberei weit bessere Resultate als dieser. Aus diesen Gründen wird der Viskoseseide eine große Zukunft vorausgesagt und man behauptet, daß ihre Vorherrschaft auf dem Gebiete der Kunstseide nur eine Frage der Zeit sei. Die erwähnten Kunstseiden haben den Fehler, daß sie beim Naßwerden an Festigkeit verlieren. Versuche, wasserfeste Kunstseide herzustellen, haben ein allseitig befriedigendes praktisches Ergebnis noch nicht gehabt. Bei den Versuchen sind die Elberfelder Farbwerke darauf gekommen, Metallgarne, sogen. Baykogarne, herzustellen, die einen Ersatz der bisherigen Gold- und Silbergespinste darstellen. Sie geben der Baumwolle einen Überzug von Zelluloseazetat, das mit Bronzen gemischt ist. Das Produkt ist sehr echt und eignet sich für Weberei-, Wirkerei- und Stickereizwecke.

Die Entwicklung der Kunstseidenindustrie hat bisher nicht nach der Richtung hin sich bewegt, für alle Fälle einen Ersatz der Naturseide zu bilden. Es handelt sich vielmehr um das Erscheinen eines neuen selbständigen und sehr wertvollen Textilmaterials, welches sich bisher nur beschränkte Anwendungsgebiete in der Textilindustrie gesichert hat. Die Produktion wird auf etwa 7½ Millionen Kilogramm Kunstseide geschätzt, woran Deutschland mit etwa 2 Millionen beteiligt ist.

Mercerisieren.

Das Verfahren zum Mercerisieren von Baumwolle hat eine chemische und physikalische Veränderung der Faser zur Folge, wodurch sie dauerhaften und bleibenden Glanz und größere Festigkeit, Dicke und Transparenz erhält. Mercerisieren nennt man die im Jahre 1844 von dem englischen Chemiker John Mercer entdeckte Behandlung der Baumwolle mit starken Alkalilaugen. Er beobachtete, daß beim Filtrieren von starker Natronlauge durch Baumwollzeug eine Veränderung

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/161&oldid=- (Version vom 24.10.2016)