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Textilindustrie
Von Geh. Regierungsrat Prof. Gürtler, Berlin


Bedeutung der Textilindustrie.

Die Hauptaufgabe der Textilindustrie besteht in der Befriedigung des Bedürfnisses der Menschen nach Bekleidung. Abgesehen von einigen wenigen Völkerstämmen, die sich mit unmittelbar der Natur entnommenen Produkten begnügen, wird die Kleidung überall aus Erzeugnissen der Textilindustrie, hergestellt. In allen Kulturländern werden die Textilstoffe aber auch für die Ausstattung und Verschönerung der Wohnung in immer wachsendem Umfang benutzt. Der Verbrauch an Textilstoffen ist groß, nicht allein wegen der mehr oder weniger schnellen Abnutzung, sondern auch wegen der durch den Wechsel der Mode bedingten Neuanschaffungen. So spielt die Textilindustrie in allen Kulturstaaten eine wichtige, in den Staaten, die die anderen Länder mit Textilwaren versorgen, sogar eine die übrigen Industrien überwiegende Rolle. Auch in Deutschland sind in der Textilindustrie mehr Arbeitskräfte als in den übrigen Industrien beschäftigt.

Umfang der deutschen Textilindustrie.

Im Mittelalter besaß Deutschland ein blühendes Textilgewerbe, das in Europa an erster Stelle stand. Nach und nach ging aber die Vorherrschaft an Frankreich und England verloren. Einerseits trugen hieran die langen verheerenden Kriege schuld, in die Deutschland verwickelt wurde, andererseits überflügelte England alle anderen Staaten durch die Einführung des Maschinenbetriebes. Erst allmählich erholte sich Deutschland von den Folgen der kriegerischen Zeiten und ging mit großem Fleiße daran, das verlorene Terrain wieder zu gewinnen. In langem Kampfe ist es gelungen, Frankreich zu schlagen, dagegen war es bis heute nur möglich, die Produktion gegenüber England so zu steigern, daß sie auf dem Gebiete der Spinnerei etwa 1/5–¼ und auf dem Gebiete der Weberei etwa ½ der Produktion dieses Landes ausmacht. Im Laufe der Zeit ist dem Deutschen Reiche aber ein gefährlicher Konkurrent durch Amerika entstanden, das namentlich auf dem Gebiete der Baumwollindustrie und neuerdings auch auf dem der Seidenindustrie mit Riesenschritten vorangekommen ist und Deutschland überholt hat. So nimmt denn Deutschland zurzeit die dritte Stelle auf dem Weltmarkte ein. Auf den einzelnen Industriegebieten gehen in der Baumwollindustrie England und Amerika, in der Wollindustrie England und Frankreich, in der Juteindustrie England und in der Seidenindustrie Frankreich und Amerika Deutschland voran. Auf letzterem Gebiete muß sich Deutschland auch noch vor Italien beugen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/158&oldid=- (Version vom 2.10.2016)