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Die beiden Hauptbestandteile unserer Atmosphäre, Sauerstoff und Stickstoff, spielen, nachdem man sie erst vor nicht langer Zeit im Großen voneinander zu trennen und einzeln zu verwenden gelernt hat, in verschiedenen Industrien eine sehr große Rolle.

Der Sauerstoff (flüssige Luft, oder elektrolytisch neben Wasserstoff hergestellt) dient in der Eisenindustrie zum Öffnen durch Eisen verstopfter Stichlöcher bei Hochöfen, mit Wasserstoff (Knallgas), Leuchtgas, Azetylen oder Blaugas (komprimiertes Ölgas) zusammen als Erzeuger sehr heißer Stichflammen, um einzelne Eisenstücke auseinanderzuschneiden oder mehrere Eisenstücke mittels geschmolzenen Eisens aneinander zu löten (schweißen). Auch in der neueren Industrie der künstlichen Rubine und Saphire und anderer im großen hergestellter, mit den natürlichen vollständig identischer Edelsteine wird Sauerstoff im Verein mit Wasserstoff in größerem Maßstabe benutzt.

Stickstoff wird heute besonders für die Herstellung von Kalkstickstoff verwendet, welcher entsteht, wenn man Kalziumkarbid bei einer Temperatur von 1000° mit Stickstoff behandelt. Der Kalkstickstoff kann direkt in der Landwirtschaft verwendet werden; es ist jedoch besser, ihn mit überhitztem Wasserdampf in Ammoniak umzuwandeln und dieses mit Schwefelsäure neutralisiert in die übliche Handelsform des schwefelsauren Ammoniaks zu bringen.

Dasselbe, was soeben von dem Sauerstoff und Stickstoff gesagt wurde, nämlich, daß eine eigentliche Industrie dieser Gase kaum 20 Jahre alt ist, gilt ebenso von dem Wasserstoff. Man stellte dieses Element wohl im Laboratorium und gelegentlich für Luftballonfahrten her, aber von einer dauernden Fabrikation in größerem Maßstabe ist erst seit dem Jahre 1898 die Rede, als die Chemische Fabrik Griesheim-Elektron den bei der Elektrolyse von Chloralkalien erhaltenen Wasserstoff auffing und in Stahlflaschen aus Mannesmannrohr komprimiert in den Handel brachte. Heute erzeugt diese Fabrik in ihren Werken Griesheim, Bitterfeld und Rheinfelden täglich zirka 2000 Kubikmeter Wasserstoff, größere Mengen werden ferner in Gersthofen am Lech, den Höchster Farbwerken gehörig, und in Weißig a/E., einer Filiale der Chemischen Fabrik von Heyden in Radebeul bei Dresden, ebenfalls durch Elektrolyse gewonnen.

Die genannten Fabriken sind Füllorte für Luftballons und Luftschiffe oder liefern den Wasserstoff komprimiert.

Die alte Methode, das Gas aus Eisen oder Zink und Schwefelsäure oder Salzsäure herzustellen, kommt bei größerem Bedarf an diesem Gase in Deutschland wohl kaum mehr zur Anwendung. Ein zweites im Jahre 1794 von Coutelle erfundenes Verfahren, Wasserstoff durch Zersetzung von Wasser mit Eisen herzustellen, ist neuerdings dadurch verbessert worden, daß man Eisenspäne unter Zusatz von Kochsalz und Kupfer unter Wasser in einem Autoklaven aus Stahl bis auf 300° erhitzt. Man erhält dann fast reines Wasserstoffgas, welches nur 4–7 Pfennige per Kubikmeter kostet.

Ferner wird Wasserstoff neuerdings durch starke Abkühlung des aus gleichen Teilen Wasserstoff und Kohlenoxyd bestehenden Wassergases in einer Luftverflüssigungsmaschine hergestellt. Dabei verflüssigt sich das bei –192° siedende Kohlenoxyd, während der erst bei –253° flüssige Wasserstoff gasförmig bleibt. Das Kohlenoxyd ist brennbar und dient zum Antrieb der Luftverflüssigungsmaschine. Auch der nach diesem Verfahren

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/152&oldid=- (Version vom 28.8.2016)