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Deutschland durch die seit 15 Jahren daselbst eingeführte Elektrolyse von Alkalichloriden, Chlorkalium und Chlornatrium, neuerdings auch Chlorkalzium eine vollständig andere Gestalt angenommen hat.

Bis zum Jahre 1898 wurde das namentlich in der Bleicherei verwendete Chlor ausschließlich durch Oxydation der Salzsäure mittels Braunstein (Scheele 1774) oder Luft in Gegenwart von Kupferchlorid und höherer Temperatur (Deacon 1868) hergestellt. Damals kostete eine Tonne Chlorkalk, die üblichste transportable Form als Chlor, 250–260 M.; mit der Einführung der Elektrolyse ist dieser Preis heute auf 90 M. herabgegangen.

Wenn die heutige Weltproduktion von Chlorkalk auf 300 000 Tonnen geschätzt wird, so beträgt der Anteil Deutschlands dabei 100 000 Tonnen im Werte von 9 Mill. Mark, wobei 70 000 Tonnen nach dem elektrolytischen Verfahren aus den oben genannten Chloralkalien erhalten werden, der Rest nach dem Deaconverfahren, da das Scheele-Weldonverfahren mit Braunstein wohl kaum mehr in Anwendung sein dürfte.

Doch nicht allein nach der Richtung der Fabrikationsmethode, sondern auch bezüglich des Welthandels mit Chlorkalk haben sich die Verhältnisse in Deutschland vollständig verschoben.

Im Jahre 1890 mußte Deutschland noch an 6500 Tonnen Chlorkalk einführen, und zwar von England, dem damaligen Hauptproduzenten. Heute übersteigt die Ausfuhr die Einfuhr um mehr als 20 000 Tonnen, und England ist dasjenige Land, welches am meisten von uns das Material bezieht.

Bei der Elektrolyse der Chloralkalien werden diese einerseits in Chlor, andererseits in Kali- bezw. Natronlauge und Wasserstoff umgewandelt.

Die Verwendung des Chlors bezw. des daraus dargestellten Chlorkalkes ist jedoch nicht auf die Zwecke des Bleichens von Zeugen, besonders von Baumwolle beschränkt. Auch das Chlor als solches findet in der Teerfarbenfabrikation zur Herstellung von Zwischenprodukten eine sehr vielseitige Anwendung. Die am meisten hergestellten Chlorprodukte dieser Art sind Chlorschwefel, Chloressigsäure, Chlorbenzol, Benzylchlorid, Benzalchlorid und Benzotrichlorid. Das viel gebrauchte Chloroform wird aus Chlorkalk und Azeton hergestellt.

Soda.

Von den in der Großindustrie gewonnenen Alkalien tritt zunächst die Soda in den Vordergrund. Auch bei dieser für sehr viele Zweige der chemischen Industrie äußerst wichtigen Verbindung hat sich in den letzten 25 Jahren eine großartige Umwälzung in dem Verfahren vollzogen.

Noch im Jahre 1888 wurden von der Weltproduktion an Soda, welche damals 800 000 Tonnen betrug, noch etwa 500 000 Tonnen nach dem alten Leblancverfahren aus Sulfat, Kohle und Kalkstein hergestellt. Inzwischen ist das von Solvay ausgearbeitete Ammoniaksodaverfahren, welches weit billiger arbeitet als die alte Methode, so weit in den Vordergrund getreten, daß von den 2 Millionen Tonnen der heutigen Weltproduktion bereits 1,9 Mill. Tonnen nach dem Solvayverfahren hergestellt werden.

Wie von Anfang an, ist England heute noch mit seinen jährlich produzierten 700 000 Tonnen der Haupthersteller der Soda, während Deutschland davon 400 000 Tonnen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/149&oldid=- (Version vom 24.7.2016)