Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/147

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Da sie weder die Reaktionstürme von Glover und Gay-Lussac noch die teuren Bleikammern mit vielen Apparaturen und Gebäuden, noch teure Konzentrationsvorrichtungen benötigt, Arbeitskräfte erspart und außerdem ein hochwertiges Produkt liefert, welches nach dem Kammerverfahren überhaupt nicht zu erhalten ist, endlich nur den dritten Teil der englischen Schwefelsäure bei der Herstellung kostet, so hat sie alle Aussicht, die englische Schwefelsäure zu verdrängen.

Die Kontaktsäure hat ferner den Vorteil, daß sie vollständig arsenfrei ist. Das Kontaktverfahren bedingt nämlich, daß die schweflige Säure, welche aus den Pyritöfen kommt, frei von Arsen ist, weil die Kontaktsubstanz (Platin) bei Gegenwart von Arsen nicht funktioniert. Englische Schwefelsäure ist aber, falls sie nicht aus arsenfreiem Schwefel hergestellt wird, immer arsenhaltig, denn die Pyrite enthalten stets Arsen; die fertige Säure ist nur durch umständliche teure Verfahren davon zu befreien.

Die Hauptverwendung der rauchenden Schwefelsäure findet in den Fabriken von Teerfarbstoffen, Sprengstoffen und Ceresin statt.

Endlich sei hier noch von der Schwefelsäure im allgemeinen gesagt, daß sie wegen ihres niedrigen Preises keine großen Frachten vertragen kann und daher von und nach dem Auslande hin kein bedeutender Handelsartikel ist. Dieses ergibt sich auch aus dem Umstande, daß die Einfuhr heute die Ausfuhr kaum um 2000 Tonnen übersteigt. Vor 25 Jahren überwog die Einfuhr die Ausfuhr noch um etwa 7000 Tonnen.

Die Fabrikation von Salzsäure und Salpetersäure beruht heute noch immer im wesentlichen auf den alten Verfahren der Zersetzung von Chlornatrium und Natriumnitrat (Chilesalpeter) durch konzentrierte Schwefelsäure; es sind jedoch in dem letzten Vierteljahrhundert ganz gewaltige Fortschritte in den Produktionsmengen und neue Verfahren zur Herstellung dieser überaus wichtigen Produkte zu verzeichnen.

Salzsäure.

Die heutige Produktion der Salzsäure in Deutschland wird auf 500 000 t einer 30prozentigen Ware geschätzt (gegen 150 000 t vor 25 Jahren). Diese Menge wird auch im Lande verbraucht, da Einfuhr und Ausfuhr sich die Waage halten. Die Salzsäure stammt, wie seit der Erfindung des Sodaprozesses von Leblanc vor etwa 100 Jahren, aus diesem Verfahren, welches auf der Einwirkung von Schwefelsäure auf Kochsalz oder Steinsalz besteht. Das Hauptprodukt ist das zur Sodafabrikation verwendete Sulfat (schwefelsaures Natrium), welches außerdem in der Glasfabrikation, in der Färberei und auch sonst vielfach Anwendung findet.

Die Leblanc-Sodafabrikation ist jedoch schon seit längerer Zeit durch die mehr und mehr aufkommende Ammoniaksodafabrikation bedrängt. Von den vor einem Vierteljahrhundert noch bestehenden etwa 20 Leblanc-Sodafabriken sind 15 eingegangen. Aber auch in ihrer Verwendung wird die Salzsäure insofern bedroht, als das Chlor, zu dessen Herstellung sie früher erforderlich war, immer mehr und mehr auf elektrolytischem Wege gewonnen wird.

Aus allen diesen Gründen ist in die Produktion der Salzsäure zeitweise eine gewisse Beunruhigung hineingekommen, welche in erheblichen Preisschwankungen zum Ausdruck kam.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/147&oldid=- (Version vom 17.7.2016)