Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/111

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

in staatlichen Lehrwerkstätten zu erteilen, die zweckmäßigerweise an technische Hochschulen und höhere Maschinenbauschulen anzugliedern wären. Wenn der Praktikant dann aus diesen Wertstätten in die Industrie-Werkstätten kommt, so weiß er, auf was er zu achten hat, und kann sich ohne besondere Belastung des Werkes, vielleicht sogar diesem nützend, im wesentlichen autodidaktisch ausbilden. Der Besuch von Lehrwerkstätten ohne darauffolgende Arbeit in den Industrie-Werkstätten wäre falsch, denn diese zeigen immer ein anderes Bild als jene, und nur in den Arbeitsstätten kann man erfahren, was und wie der Industrie-Arbeiter über seine Arbeit und sein Verhältnis zur Leitung des Werkes fühlt und denkt.

Bearbeitungs-Methoden.

Die modernen Werkstätten der Maschinen-Industrie sehen heute sehr viel anders aus als vor 25 Jahren und sind anders organisiert. Wir arbeiten rascher, genauer und wirtschaftlicher. Auch heute noch wird wie früher in drei Stufen bearbeitet: vorschroppen, d. h. Abnehmen des überschüssigen Materials in groben Spänen, auf roheres Maß bringen durch feinen Span, auf genaues Paß-Maß bringen durch Glätten. Während jedoch vor 25 Jahren beim Vorschroppen und auf rohes Maß bringen das Werkzeug nur einen Span mit mäßiger Geschwindigkeit abhob, und das Glätten meist von Hand mit der Feile und Schmirgelleinwand geschah, gestattet heute der verbesserte Schnelldrehstahl das Abheben eines sehr groben, besonders breiten Spanes mit großer Geschwindigkeit, auf rohes Maß gebracht wird vielfach durch Abheben von mehreren breiten, aber dünnen Spänen durch den Fräser, der übrigens als Vorfräser auch zum Vorschroppen benützt wird, auf Paßmaß durch Glätten wird das Stück gebracht durch Ausreiben und Schleifen. Das Schleifen ist besonders für die jetzt sehr viel gebrauchten gehärteten Stücke von Wichtigkeit, erstens weil nur das Schleifpulver die harte Oberfläche anzugreifen, zweitens weil es die größte Glätte der Fläche herzustellen vermag.

Meßverfahren. Werkzeugmaschinen.

Vor 25 Jahren wurde in der Werkstatt gemessen durch ein vom Arbeiter einzustellendes Maß. Diese Einstellung war individuellen Fehlern unterworfen, die von zwei Arbeitern hergestellten Gegenstände gleichen Zweckes waren also nicht genau gleich. Heute messen wir in der Werkstatt mit einem festen von den Sinnen des Arbeiters unabhängigen Maß und benützen außerdem zwei Differenzmaße, das eine ist eine Idee größer, das andere ebensoviel kleiner als das gewünschte Maß. Wir erreichen hiermit Genauigkeiten, deren Fehler kleiner als 1/1000 mm sind. Die größere Beanspruchung infolge Abhebens größerer oder mehrerer Späne, die größere Schnittgeschwindigkeit, die Notwendigkeit, die Erreichung höchster Genauigkeiten nicht durch elastische Formänderungen und Schwingungen der Werkzeugmaschinen zu stören, haben, allerdings nach dem Vorbild der Amerikaner, bewirkt, daß unsere heutigen Werkzeugmaschinen schwerer in der Masse, genauer in ihrem Gefüge und ihren Triebwerken geworden sind. Noch in einem weiteren wesentlichen Punkte haben uns die Amerikaner den richtigen Weg gezeigt. Ihr soviel größeres Absatzgebiet hat es ihnen von vornherein ermöglicht,

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/111&oldid=- (Version vom 20.8.2021)