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die die Regierung vertrat, um der Allgemeinheit die Freude am Staat zu erhalten. Wie alle Parteien ist ja auch die konservative durch die Verschärfung der wirtschaftlichen Gegensätze in gewissem Sinne eine Interessenvertretung geworden. Ich will nicht untersuchen, ob sie es mehr geworden ist, als ihr selbst zuträglich ist. Aber daß sie es mehr ist als für den Gang der Regierungsgeschäfte gut ist, wird wohl niemand bestreiten, der während der letzten Jahrzehnte auf der Ministerbank gesessen hat. Ich mußte mich in dem Maße von der konservativen Partei entfernen, in dem sie als Interessenvertretung auftrat, und ich die von ihr verflochtenen Interessen mit denen der Allgemeinheit nicht mehr vereinbar fand. Bei den Kämpfen um den Zolltarif deckte sich das allgemeine Interesse mit dem von der konservativen Partei vertretenen, bei der Reichsfinanzreform schließlich nicht. Die spätere Entwicklung hat es in beiden Fällen bewiesen. Von den grundsätzlichen Anschauungen des Konservativismus über die gesellschaftliche, wirtschaftliche und vor allem die staatliche Ordnung hat mich nie etwas getrennt und trennt mich auch heute nichts.

Das konservative Element in der preußisch-deutschen Geschichte.

Was das konservative Element für unser preußisch-deutsches Staatsleben ist und gewesen ist, darf niemals verkannt werden. Es wäre ein schwerer nationaler Verlust, wenn die konservativen Gedanken aufhörten im deutschen Volke lebendig und wirksam zu sein, wenn die konservative Partei aufhörte, im parlamentarischen und politischen Leben die ihrer Vergangenheit würdige Stellung einzunehmen. Die Kräfte, die in der konservativen Partei leben, sind die Kräfte, die Preußen und Deutschland groß gemacht haben, die sich unser Vaterland erhalten muß, um groß zu bleiben und größer zu werden und die niemals unmodern werden können. Die Ideale des besten Konservativismus, die von Unterwürfigkeit freie Mannestreue gegen König und Herrscherhaus und das zähe bodenständige Heimatgefühl müssen uns Deutschen unverloren bleiben. Wenn heute die Gegner der konservativen Partei es nicht bewenden lassen bei dem im Parteigegensatz begründeten Kampf gegen die konservative Politik, sondern einen im politischen Leben immer unerfreulichen Klassenhaß gegen diejenigen Volksklassen hervorkehren, die vornehmlich in der konservativen Partei vertreten sind, so sollte doch nicht vergessen werden, was gerade diese Volksschichten für Preußen und Deutschland geleistet haben. Die Junker und Bauern Ostelbiens sind es in erster Linie gewesen, die unter den Hohenzollernfürsten die Größe Brandenburg-Preußens erfochten haben. Der preußische Königsthron ist geleimt mit dem Blute des preußischen Adels. Was dem großen König seine Junker gewesen sind, das hat er mehr als einmal betont. Das Lob, auf das der preußische Adel begründeten und voll berechtigten Anspruch hat, soll keine Schmälerung der Leistungen und Verdienste anderer Stände bedeuten. Ohne die aufopfernde Treue des Bürgertums, der Bauern und des einfachen Mannes hätte der Adel wenig vermocht. Es ist auch richtig, daß der Adel sich in früheren Zeiten besonders hat auszeichnen können, weil ihm die Zeitverhältnisse besondere Gelegenheit dazu boten. Aber an die verantwortungsvollen und die gefährlichen Posten im Dienste des preußischen Staates gestellt, hat er Allergrößtes geleistet, mehr

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/84&oldid=- (Version vom 31.7.2018)