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Das Abkommen diente dem Frieden, indem es die Algesiras-Akte in denjenigen Punkten ergänzte, in denen sie sich in der Praxis als verbesserungsfähig erwiesen hatte. Die Beschlüsse der Algesiras-Konferenz selbst wurden durch das Abkommen von 1909 ausdrücklich bestätigt. Das deutsche Mitbestimmungsrecht über das Schicksal Marokkos, dieses Recht, das einer Annexion Marokkos durch Frankreich entgegenstand, wurde durch den Sondervertrag in keiner Weise berührt. Was später für den Verzicht auf unser Recht erreicht wurde, mag es nun viel oder wenig sein, mag das uns zugefallene Stück Kongo einen kleinen oder großen Wert haben, ist jedenfalls erlangt worden auf der Grundlage von Algesiras und dank unseres Vorgehens im Jahre 1905. Uns einen Teil von Marokko anzueignen, haben wir nie beabsichtigt. Nicht aus Furcht vor Frankreich, sondern in unserem eigenen Interesse. Wir hätten dort neben Frankreich auch England und Spanien gegen uns gehabt. Wir durften auf der anderen Seite auch nicht hoffen, durch übertriebenes Entgegenkommen in der Marokkofrage Frankreich zu versöhnen. Einen wie hohen wirtschaftlichen Wert Marokko auch für Frankreich haben mag, einen wie bedeutenden politischen und militärischen Machtzuwachs sich Frankreich von dieser Vergrößerung seines nordafrikanischen Kolonialreichs versprechen mag, seine Marokko-Politik war ihm gerade in den kritischen Momenten noch mehr Mittel zum Zweck als Selbstzweck. War es gewissen französischen Kreisen mit der anfänglichen Ignorierung Deutschlands um einen wirksamen Vorstoß gegen die Weltmachtstellung und das Ansehen Deutschlands mit englischer Hilfe zu tun gewesen, so glaubte man später eine Gelegenheit winken zu sehen, unter günstigen Bedingungen an der Seite Englands zur entscheidenden Abrechnung mit Deutschland zu kommen. Diese Tendenzen der französischen Politik rückten die Marokkofrage zweimal in das Vordertreffen der großen Politik und stellten die Erhaltung des Weltfriedens in Frage.

Unversöhnlichkeit Frankreichs.

Bei der Betrachtung unseres Verhältnisses zu Frankreich dürfen wir nicht vergessen, daß Frankreich unversöhnt ist. Das letzte Ziel französischen Strebens wird, menschlichem Ermessen nach, noch auf lange hinaus das sein, die heute noch fehlenden Voraussetzungen für eine aussichtsreiche Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reiche zu schaffen. Halten wir uns diese Wahrheit nüchtern gegenwärtig, so werden wir Frankreich gegenüber das richtigste Verhältnis gewinnen. Entrüstete Deklamationen über französische Unverbesserlichkeit sind ebenso geschmacklos wie unfruchtbare Werbeversuche. Der deutsche Michel hat es nicht nötig, immer wieder mit einem Blumenstrauß in der Hand und bisweilen ziemlich linkischer Verbeugung sich der spröden Schönen zu nähern, deren Blick auf den Wasgau gerichtet ist. Nur die langsame Erkenntnis der Unabänderlichkeit des Verlustes von 1871 kann Frankreich zur endgültigen und vorbehaltlosen Gewöhnung an den im Frankfurter Frieden festgesetzten Zustand der Dinge bringen. Es ist nicht unmöglich, daß die krampfhafte Anspannung der letzten militärischen Kräfte in ihrer Rückwirkung auf die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Frankreichs diesen Beruhigungsprozeß beschleunigen wird und daß sich hierbei wieder einmal das französische Sprichwort als richtig bewährt, „que l’excès du mal amène la guérison“. Die Wiedereinführung der dreijährigen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/58&oldid=- (Version vom 31.7.2018)