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gehörte, mit großem Nachdruck eine Reihe von Nachteilen gegenüber, die nach ihrer Meinung die Vorteile mehr als aufwogen. Diese waren: das überaus ungesunde Klima in dem weitaus größten Teile des erworbenen Gebietes, vor allem die Verseuchung weiter Landstriche durch die gefährliche Schlafkrankheit, die Vergebung eines großen, und zwar gerade des kautschukreichsten Teiles an französische Konzessionsgesellschaften, die unnatürlich langgedehnten Grenzen mit den beiden schmalen Zipfeln nach den Flüssen Ubangi und Kongo, die infolge der Kongo-Katarakte nicht einmal für Seeschiffe erreichbar sind, und schließlich das Zugeständnis von 20 französischen Etappenposten im deutschen Gebiet, die nichts anderes als eine etwa 250 km lange Etappenstraße durch dasselbe bedeuten, militärisch die größten Bedenken erregen müssen und vom nationalen Standpunkte höchst bedauerlich erscheinen. Alles Authentische, was bisher über die neuerworbenen Gebiete zu uns gelangt ist, ist nicht dazu angetan, die Skeptiker eines anderen zu belehren. Daß tatsächlich Kautschuk in beträchtlicher Menge vorhanden ist, was übrigens von der Gegenseite niemals bestritten worden ist, scheint sich zu bestätigen. Der Ausbeutung der Bestände wird aber die Krisis auf dem Kautschutmarkte großen Eintrag tun. Leider hat die Schlafkrankheit eine noch erheblichere Ausdehnung, als selbst die größten Pessimisten angenommen hatten, sodaß ernstlich die Frage zu erwägen sein wird, ob nicht ein großer Teil des Gebietes bis auf Weiteres gänzlich für Weiße zu schließen sein wird. Ein Jahr zuvor war in Brüssel eine alte, für unser ostafrikanisches Schutzgebiet ungemein wichtige Streitfrage entschieden und die Grenze mit dem belgischen Kongo endgültig so festgelegt, daß das große und dicht bevölkerte Sultanat Ruanda, das Belgien zur Hälfte für sich beansprucht hatte, ungeteilt deutscher Besitz verbleibt, ein für uns sehr günstiger Ausgang, der wesentlich der ausgiebigen Zuziehung kolonialer Sachverständiger zu verdanken ist.

Das ostasiatische Schutzgebiet.

Einer kurzen, gesonderten Betrachtung bedarf noch unser ostasiatisches Schutzgebiet, das Pachtgebiet Kiautschau. Dies rechtfertigt sich aus dem von den übrigen Kolonien völlig verschiedenen Grundcharakter und dementsprechenden Entwickelungsgang desselben. Unser asiatisches Schutzgebiet spielt die doppelte Rolle einer deutschen Flottenbasis im fernen Osten und einer typischen Handelskolonie, deren wirtschaftliche Hauptfunktion in einer amtlichen Denkschrift treffend als „in der Vermittelung des Güteraustausches zwischen zwei großen Wirtschaftsgebieten liegend“ bezeichnet wird. Von vornherein reichlich mit Mitteln ausgestattet, unter starkem militärischen Schutz stehend, sind ihr kriegerische Verwickelungen und sonstige Rückschläge erspart geblieben, durch die der Fortschritt der übrigen Kolonien jahrzehntelang gelähmt wurde.

Nach einem sorgfältig erwogenen Plan ging man sofort nach der Besitzergreifung daran, die Bedingungen für einen erstklassigen Handelsplatz und Umschlagshafen durch moderne und groß angelegte Hafeneinrichtungen zu schaffen, und das reiche und bevölkerte Hinterland, vor allem die Provinz Schantung, durch Verkehrswege zu erschließen. Hier ist vor allem die etwa 400 km lange Deutsche Schantung-Eisenbahn zu nennen, deren Reinertrag im Jahre 1912 sich auf 5½ Mill. M. belief und die durch ein neuerliches Abkommen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/462&oldid=- (Version vom 12.12.2020)