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koloniale Beirat, der Kolonialrat, aufgehoben wurde. Durch Schaffung eines besonderen landwirtschaftlichen Referates neben dem schon vorhandenen volkswirtschaftlichen im neuen Reichskolonialamt und durch die Besetzung desselben mit einem gründlich wissenschaftlich und praktisch ausgebildeten Fachmanne wurde einerseits die kritische Bearbeitung der Berichte aus den Kolonien und die Bewertung der dort gemachten Versuche, andererseits die Feststellung eines umfassenden Programms ermöglicht. Von großer Wichtigkeit war dies auch für die nahezu zur Lebensfrage für einen Teil des heimischen Handels und unserer Industrie gewordene Erzeugung von Baumwolle. Die diesbezüglichen Arbeiten hatten bisher ganz in den Händen des kolonialwirtschaftlichen Komitees gelegen; ihr gedeihlicher Fortgang wurde aber naturgemäß durch die mehr auf industrielle und kommerzielle Zwecke zugeschnittene Organisation desselben beeinträchtigt. Vor allem zeigte sich das Komitee, dessen unbestreitbare Verdienste ja schon eingehend gewürdigt worden sind, den rein landwirtschaftlichen Aufgaben nicht genügend gewachsen. Nachdem der Leiter der Kolonialverwaltung sich persönlich mit seinem landwirtschaftlichen Sachverständigen über die großen Baumwollgebiete der Vereinigten Staaten Nordamerikas informiert hatte, kam im besten gegenseitigen Einvernehmen ein Arbeitsteilungsabkommen zwischen Kolonialamt und Komitee zustande, demzufolge ersteres das auf eine breitere Grundlage zu stellende landwirtschaftliche Versuchswesen im weitesten Umfange durch Errichtung landwirtschaftlicher Stationen organisieren sollte, während die sonstigen Arbeiten, insbesondere die Errichtung von Entkörnungsanstalten und der Aufkauf der Rohbaumwolle zu Garantiepreisen, dem Komitee verblieben.

Der landwirtschaftliche Aufschwung wurde wesentlich dadurch gefördert, daß es gelang, das Kapital wieder in größerem Maße für die Kolonien zu gewinnen, so daß eine Reihe neuer Unternehmungen in sämtlichen Kolonien entstanden. Aber auch die älteren Pflanzungen gediehen. Erfreulicherweise hat sich der Pessimismus, der zeitweise bezüglich der ostafrikanischen Sisalplantagen gerade auch in amtlichen Kreisen herrschte, als übertrieben herausgestellt. Begründeter war er dagegen bezüglich der Kautschukpflanzungen. Auch diese haben sich im allgemeinen gut entwickelt und ergaben bisher zufriedenstellende Resultate, doch erscheint hier die Rentabilität für die Zukunft angesichts der südasiatischen Konkurrenz in Frage gestellt, so daß sich die Pflanzer sehr werden überlegen müssen, ob sie nicht, wie einst die Kaffeekulturen in Usambara, so die Manihot-Kautschukkulturen durch andere – Kokospalmen, Kapok, Ölpflanzen usw. – ersetzen sollen. In Kamerun gelang es, die Kakaokulturen durch energische Bekämpfung der Krankheiten und Schädlinge rentabeler zu gestalten, während man sich mehr und mehr davon überzeugt hatte, daß nicht Kickxia, sondern die hochwertige Hevea die geeignetste Kautschukkultur für das in Frage kommende Pflanzungsgebiet sei. Weitere Fortschritte haben in den letzten Jahren die Ölpalmpflanzungen gemacht, denen ebenso wie der seit dem Jahre 1910 sich von Jahr zu Jahr mehr ausdehnenden Tabakkultur eine große Zukunft bevorstehen dürfte. Das Hauptausfuhrprodukt ist aber noch heute der Handelskautschuk, welcher im Jahre 1911 den Wert von rund 11 Mill. M. betrug, wovon 9 Millionen allein auf den Süden entfallen. Die aus dem hierauf gelegten Ausfuhrzoll erzielten Beträge bilden den wesentlichsten Bestandteil der Einnahmen des Schutzgebietes, die durch ein

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/453&oldid=- (Version vom 12.12.2020)