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Während in den übrigen Schutzgebieten die ärztliche Fürsorge fast ausschließlich in den Händen von Truppen- und Regierungsärzten liegt, haben sich in Südwestafrika – meist veranlaßt und unterstützt durch Bezirks- und Gemeindeverbände – eine Anzahl Privatärzte niedergelassen. Das rote Kreuz für die Kolonien hat seine segensreiche Tätigkeit immer mehr ausgedehnt und den Stab der zur Krankenpflege und zu sonstigen sanitären Hilfeleistungen entsandten Schwestern erheblich vermehrt.

Verwaltungs-Dezentralisation. Selbstverwaltung in Südwestafrika.

Während dieser Periode vollzogen sich aber auch in der Verwaltung der Schutzgebiete wesentliche Änderungen. Eine größere Dezentralisation wurde dadurch angestrebt, daß die bisher beim Reichskolonialamt geführte Finanzverwaltung der Schutzgebiete in diese verlegt und mehreren Gouvernements die neuerdings auch auf Ostafrika ausgedehnte Ermächtigung zur Neuanschaffung, Verlegung und Aufhebung von Verwaltungsbehörden erteilt wurde. Die Trennung von Verwaltung und Gericht und die Umwandlung von Militärbezirken in Bezirksämter mit Zivilbeamten wurde weiter durchgeführt. Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung wurde dadurch erhöht, daß mehr und mehr das Amt des Oberrichters von dem des Gouverneurs oder seines Stellvertreters getrennt wurde. Am einschneidendsten war aber die Umgestaltung auf dem Gebiete der Selbstverwaltung; dieselbe nahm in den beiden größten Schutzgebieten merkwürdigerweise eine entgegengesetzte Richtung. In Ostafrika wurden aus vorwiegend fiskalischen Gründen im März des Jahres 1909 die durch Reichskanzlerverordnung von 1901 geschaffenen kommunalen Verbände bis auf die Ortschaften Daressalam und Tanga aufgehoben und ihr Vermögen auf den in die Rechte und Pflichten der Verbände eintretenden Landesfiskus übertragen, während im Januar desselben Jahres Südwestafrika mit einer weitgehenden Selbstverwaltung bedacht wurde. Die größeren Ortschaften wurden dort zu Gemeindeverbänden zusammengefaßt, die Verwaltung einem von den Gemeindeangehörigen aus ihrer Mitte gewählten, über alle wichtigeren Angelegenheiten beschließenden Gemeinderat übertragen, an dessen Spitze ein Gemeindevorsteher oder Bürgermeister steht, der meist ehrenamtlich tätig ist und für die Bezirksverbände ein gleichfalls gewählter Bezirksrat vorgesehen, in dem der staatliche Bezirksleiter den Vorsitz führt. Dem Gouverneur wurde zur Unterstützung bei Wahrnehmung der Interessen des gesamten Schutzgebietes ein aus zur Hälfte gewählten, zur Hälfte von ihm ernannten Mitgliedern bestehender Landesrat als beratendes Organ zur Seite gestellt. Der Wirkungskreis der Gemeinde erstreckt sich auf fast alle wichtigeren Gebiete des öffentlichen Lebens, darunter auch auf die für diese Besiedelungskolonie besonders wichtige Fürsorge für das Schulwesen.

Schulwesen und kirchliche Versorgung.

Dieses hatte sich seit Beendigung des Aufstandes schnell und kräftig entwickelt. Die mit Pensionaten verbundenen, vom Reiche mit erheblichen Mitteln unterstützten Schulen weißer Kinder wurden teilweise von den Gemeinden übernommen. Von den 17 Regierungs- und Gemeindeschulen ist die überwiegende Mehrzahl einklassig, einzelne

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/451&oldid=- (Version vom 12.12.2020)