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Schutzgebietes neues Leben regte, dauerte im Süden der Kampf unserer mit unvergeßlicher Tapferkeit und Ausdauer gegen einen meist unsichtbaren Feind fechtenden Schutztruppe fort. So betrübend dieser ganze Aufstand mit seinen bedeutenden Opfern an weißen und eingeborenen Leben ist: er hatte immerhin das Gute, daß er das deutsche Volk in seiner kolonialen Gleichgültigkeit gewaltig aufrüttelte. Durch die Tausende von Soldaten, die aus den verschiedenen Schichten der Bevölkerung übers Meer zogen, wurde ganz von selbst das koloniale Interesse neu geweckt und in Kreise getragen, denen es bisher ferngelegen hatte. Trotz alledem wollte im allgemeinen der Pessimismus und die geradezu sprichwörtlich gewordene Kolonialmüdigkeit nicht weichen, und das Kapital hielt sich mehr als je von kolonialen Unternehmungen fern.

III. Kolonial-politischer und wirtschaftlicher Aufschwung.

Dernburg Kolonialdirektor.

Einen solchen Boden fand der Direktor der Darmstädter Bank, Bernhard Dernburg, vor, als er auf Vorschlag des Fürsten Bülow an die Spitze der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes berufen wurde und sich mit großer Energie in die ihm neue Verwaltung einarbeitete, die er praktischer zu gestalten und mit mehr kaufmännischem Geist zu durchdringen strebte. Bei seinem Amtsantritt standen im Reichstage die kolonialen Angelegenheiten im Vordergrunde der Beratungen, einmal wegen Beschwerden über Beamte und Offiziere, die nach der Ansicht einer größeren Anzahl Abgeordneter nicht schnell und gründlich genug untersucht und entschieden worden waren; sodann wegen der bedeutenden Mittel, die noch immer für die Schutztruppe in Südwestafrika an- und nachgefordert werden mußten und welche durch ihre erst jetzt im ganzen Umfange erkennbare Höhe die Reichsboten beunruhigten. Bei der Verhandlung über älteren tüchtigen Kolonialbeamten in Togo zur Last gelegte Verfehlungen gegenüber Eingeborenen kam es zu einem scharfen Zusammenstoß zwischen dem Kolonialdirektor und dem Mitgliede einer großen Partei. Als diese dann bald darauf, gefolgt von der Sozialdemokratie, die für die Truppe verlangten Kredite verweigerte, indem sie die Truppenzahl erheblich herabgesetzt zu sehen wünschte, während außer den konservativen Parteien und den Nationalliberalen, die von jeher die Notwendigkeit eines starken militärischen Schutzes anerkannt hatten und für denselben eingetreten waren, jetzt auch die Linksliberalen für die Regierungsforderung stimmten, kam es zu der denkwürdigen Reichstagsauflösung vom 13. Dezember 1906.

Reichstagsauflösung.

In der Zeit zwischen Auflösung und Neuwahl bot sich für den Chef der Kolonialverwaltung Gelegenheit, durch mehrere großzügige Reden und Vorträge sein Programm für die weitere koloniale Entwicklung vor aller Öffentlichkeit klarzulegen. In den vor den Trägern der Wissenschaft, der Industrie und des Handels gehaltenen Vorträgen über die Zielpunkte des deutschen kolonialen Wesens rief er die Nation auf, „sich zu entscheiden, ob sie nach einem wohldurchdachten Plan den Boden und seine Schätze, die Flora, die Fauna und vor allem

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/447&oldid=- (Version vom 12.12.2020)