Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 1.pdf/446

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Die weitverbreitete Meinung, daß Südwestafrika keinen Wert für das Mutterland habe, wurde auf Grund der Feststellungen der zur Abschätzung der erlittenen Schäden vom Reichskanzler eingesetzten Kommission widerlegt. Denn die Höhe des Schadens betrug über 13 Mill. M., eine beträchtliche Summe, wenn man bedenkt, daß die Ortschaften verhältnismäßig wenig betroffen waren, und sich vergegenwärtigt, mit welchen Schwierigkeiten und Hindernissen die Farmerschaft, die diese Werte erzeugte, zu kämpfen gehabt hatte. Es war nur folgerichtig, daß das Gouvernement als erstes Erfordernis für die Gesundung des Landes die Erhaltung der alten Farmer bezeichnete, die sich zum großen Teil aus den Reihen alter Schutztruppler rekrutierten und es durch harte Arbeit in 10–15 Jahren zu einer gewissen Wohlhabenheit gebracht hatten, und daß es alles daran setzte, um eine möglichst vollständige Entschädigung zu erreichen. Durch Bewilligung derselben, welche schließlich die Höhe von 10 Mill. M. erreichte, gelang es, den alten Farmerstamm als Rückgrat für die nunmehr auf breiterer Grundlage ins Werk zu setzende Besiedelung zu erhalten.

Systematische Besiedelung Südwestafrikas.

Schon zu Beginn des Jahres 1906 wurde ein förmlicher und großzügiger Besiedelungsplan aufgestellt, was um so notwendiger war, als nach Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung Landbewerbungen in größerer Zahl einliefen. Er umfaßte die Reorganisation des Vermessungsdienstes unter gleichzeitiger erheblicher Vermehrung des Vermessungspersonals, Errichtung von Bohrkolonnen im Norden und Süden zur systematischen Wassererschließung nach Angaben von Sachverständigen, Beschaffung von Zuchtvieh, namentlich Muttervieh zwecks schnellerer Wiederbestockung der Farmen und die Neuanlage und Vergrößerung von gärtnerischen, forstlichen und landwirtschaftlichen Versuchsstationen. Sowohl für die Wassererschließung wie für die Viehbeschaffung wurden dem Gouvernement dankenswerterweise Mittel von der Wohlfahrtslotterie zur Verfügung gestellt, aus denen u. a. die Transportkosten des Mutterviehs bestritten wurden. Dem Gouvernement gelang es auch, ältere, bewährte Farmer zu bewegen, junge Leute, die sich im Lande ansiedeln wollten, zunächst als Eleven oder Volontäre bei sich aufzunehmen und so in die praktische afrikanische Farmwirtschaft einzuführen. In Frage kam und kommt noch heute, abgesehen von einzelnen wenigen, besonders guten und günstig gelegenen Arealen, die nebst ausgedehnteren Weidegebieten für eine dichtere Besiedelung vorbehalten wurden, nur der Betrieb von Großfarmen, deren Größe je nach der Lage variiert und entsprechend den Regen- und Gras-Verhältnissen von Norden nach Süden zunimmt.

Durch Einberufung des ersten Gouvernementsrats auf Grund eines fast einer Wahl gleichkommenden Vorschlagsrechts der Bezirkseingesessenen wurde die Bevölkerung nun auch in diesem Schutzgebiet zur Selbstverwaltung mit beratender Stimme herangezogen. Die Verabschiedung einer Reihe grundlegender Verordnungen gaben Zeugnis von der Fruchtbarkeit der ersten gemeinsamen Arbeit größeren Stils seitens Bevölkerung und Gouvernement.

Während sich so in dem beruhigten nördlichen und mittleren Teile des südwestafrikanischen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/446&oldid=- (Version vom 12.12.2020)