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nördlichen Teil des Schutzgebietes politisch und wirtschaftlich von großem Vorteil zu werden, und ist es auch tatsächlich geworden.

Aufstände in Südwest- und Ost-Afrika.

Leider brach in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts in Südwestafrika ein überaus heftiger Aufstand aus, der immer weiter um sich griff, so daß schließlich fast sämtliche eingeborenen Stämme in ihn hineingezogen wurden. Bevor derselbe niedergeworfen war, loderte ein gleichfalls sehr gefährlicher Brand im südlichen Teile von Ostafrika auf, dessen Übergreifen auf die mittleren Bezirke des Schutzgebietes noch eben glücklich verhindert werden konnte. In beiden Fällen wurden Regierung sowohl wie Missionen von dem Ausbruch der Aufstände nahezu völlig überrascht. Ausdehnung und Hartnäckigkeit dieser Erhebungen waren nur dadurch möglich geworden, daß man versäumt hatte, rechtzeitig für eine genügend starke Schutztruppe zu sorgen und Eisenbahnen zu bauen. Sicherlich hätte in Südwestafrika eine rechtzeitige Verstärkung der Schutztruppe um 3 bis höchstens 4 Kompagnien oder die Existenz einer Bahn von Lüderitzbucht nach Keetmanshop genügt, um den Bondelswart-Aufstand, wenn er überhaupt ausgebrochen wäre, im Keime zu ersticken. Dann aber wären Hereros und Witboois nicht zu dem erst durch die Entblößung ihrer Gebiete von Truppen gereiften Entschlusse gekommen, die deutsche Herrschaft abzuschütteln. In Südwestafrika kamen als sekundäre Erscheinungen vereinzelte Übergriffe von Weißen und der ungünstige Einfluß hinzu, den zur Ausstellung nach Berlin entsandte und dort verwöhnte und verdorbene Häuptlingssöhne nach ihrer Rückkehr ausübten, indem sie nachweislich am stärksten zum Aufstande trieben. Beide Erhebungen haben von neuem die Richtigkeit der Ansicht bestätigt, daß Eingeborene zwar human und gerecht behandelt werden sollen, daß sie aber auf der Kulturstufe, auf der sie damals in unseren Schutzgebieten standen und noch heute stehen, der väterlichen Zucht und Strenge nicht entraten können und stets wissen müssen, daß die Macht der Regierung zu stark ist, als daß sie Unbotmäßigkeiten ungestraft begehen können.

Sammlung der Eingeborenen.

Die nach Niederwerfung der Aufstände in die von ihnen heimgesuchten Kolonien entsandten neuen Gouverneure betrachteten es als ihre vornehmste Aufgabe, das Vertrauen der Eingeborenen der aufständischen Gebiete wiederzugewinnen und die flüchtig Herumschweifenden zu sammeln. In Südwestafrika geschah dies durch Einrichtung von staatlichen Sammellagern unter Leitung von Missionaren der seit vielen Jahrzehnten unter ihnen tätigen Rheinischen Mission, die das schwierige Werk mit Eifer, Geschick und gutem Erfolge ausführten. In Ostafrika gelang es, durch jahrelange, vorsichtige Arbeit die in das portugiesische Gebiet Geflüchteten allmählich wieder in das Schutzgebiet zu ziehen.

Entschädigung der Farmer.

In Südwestafrika galt es aber nicht minder, der infolge des Aufstandes in verschiedenen Teilen des Schutzgebietes vernichteten Farmwirtschaft der Weißen wieder aufzuhelfen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/445&oldid=- (Version vom 12.12.2020)