Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 1.pdf/432

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

unabhängige Absatzmärkte für unsere erstarkte und zu den größten Hoffnungen berechtigende Industrie und unseren gewaltig wachsenden Handel ein dringendes Bedürfnis seien, und daß wir Neulandes für die sich gerade damals massenhaft nach dem Ausland wendenden und unserem Volkstum über kurz oder lang verloren gehenden Deutschen Auswanderer benötigten.

I. Militärpolitische Okkupation der Schutzgebiete.

Wirtschaftliche Versuche.

Der Zanzibarvertrag und seine Folgen.

Das erwachende Interesse erfaßte weitere Kreise, als die glänzende Niederwerfung des Araberaufstandes in Ostafrika durch Hermann v. Wißmann und seine tapferen Offiziere mit der von ihm in kürzester Zeit geschaffenen und vorzüglich ausgebildeten Sudanesen-, Zulu- und Landeseingeborenen-Truppe, von unserer Marine tatkräftig unterstützt, in der Heimat bekannt wurde. So war unsere Kolonialpolitik auf dem besten Wege volkstümlich zu werden, als Fürst Bismarck den Schauplatz seiner Taten verließ.

Es zeigte sich bald, daß sein Nachfolger, woraus er selbst kein Hehl machte, unseren überseeischen Besitz nicht nur sehr gering einschätzte, sondern für geradezu bedenklich hielt, weil er uns in Mißhelligkeiten mit anderen Nationen, namentlich mit England, bringen könnte.

Wirkte diese Haltung des ersten Beamten des Reiches schon an sich sehr abkühlend, so hatte der Zanzibarvertrag vom 1. Juli 1890, der uns die für unsere Küstenverteidigung und als Stützpunkt für unsere Untersee- und Torpedoboots-Flottillen wichtige Insel Helgoland einbrachte, eine ungeheure Niedergeschlagenheit aller kolonialfreundlichen Kreise zur Folge. Fast noch böseres Blut, als der Verzicht auf Zanzibar und größere Gebiete im ostafrikanischen Hinterlande, machte die für das Ansehen des Deutschen Reiches höchst betrübende und von den Eingeborenen geradezu als Treulosigkeit betrachtete Aufgabe der kurz zuvor feierlich erklärten Schutzherrschaft über das Sultanat Witu. Die ungünstigen Nebenabreden über die Oranjeflußgrenze in Südwestafrika, die uns im letzten Aufstande so viel Geld gekostet und durch die unsere Truppen so schwer zu leiden gehabt haben, über die Voltagrenze in Togo und den Erwerb des sog. Kaprivizipfels unter Aufgabe unserer Ansprüche am Gnamisee verstärkten die Überzeugung, daß der Vertrag ohne rechtzeitige und genügende Hinzuziehung kolonialer Sachverständiger geschlossen sei, und daß hier unsere junge koloniale Sache für die allgemeine Politik habe bluten müssen. Die Unzufriedenheit steigerte sich noch, als die erfahrenen Afrikaner Wißmann und Peters nach Deutschland zurückkehrten und mit ihrer Meinung über die Schwäche des Abkommens nicht zurückhielten.

Kolonialgesellschaft.

Nach der hierdurch hervorgerufenen großen Erregung blieb die Reaktion nicht aus; Verbitterung und Gleichgültigkeit waren die Folge, so daß bald als Träger des kolonialen Gedankens fast nur noch die Kreise

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/432&oldid=- (Version vom 9.3.2019)