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in Zukunft zu erwerben möglich sein wird, das müssen wir auf jeden Fall festhalten und ausbauen.

Auch hierin haben die vergangenen Jahrzehnte einen Umschwung zum besseren gebracht. Die Verhandlungen über die Kolonien und die Flotte, die sich überdecken im Etat von Kiautschou, den die Marineverwaltung im Reichstag vertritt, bilden in der heutigen Zersplitterung der Parteien einen Sammelpunkt für das nationale Denken. Ja selbst die grollend und negierend abseits stehende Sozialdemokratie kann ihre, wenn auch widerstrebende Anerkennung hier oft nicht versagen.

Ein Seevolk wie das englische mit all den damit verbundenen Nachteilen und Vorteilen wird das deutsche Volk nie werden. Wie die City das Herz der Weltstadt London ist, so sind die großbritannischen Inseln nur das Herz des englischen Weltstaates, des britischen Weltimperiums. Die Verteilung und Lagerung der Glieder des deutschen Weltimperiums muß anders geartet sein. Großer in sich geschlossener kontinentaler Besitz ist die Grundbedingung unserer Macht. Wollen wir ihn innerhalb der von allen Seiten ihn umdrängenden Gefahren uns erhalten, so bedarf unser Volksleben und unsere Volkswirtschaft einer Differenzierung, die einerseits auf den Doppelerwerb in Industrie und Landwirtschaft, andererseits auf die Teilung der Wehrmacht in Flotte und Heer sich stützt.

Aber beide müssen sich ergänzen. Handel und Industrie, wie sie ruhen auf den friedlichen Elementen der Seemacht, haben Deutschland zu einem reichen Lande gemacht. Auch für den inneren Markt, der sich zu einem europäischen erweitert, brauchen sie die überseeischen Einkaufsmärkte und als Regulator und Mitträger für ihren Erwerb die überseeischen Absatzmärkte des Weltverkehrs. Dieser innere Markt mit seiner geschlossenen Masse kaufkräftiger, gut gelohnter Industriearbeiter wird auch der Landwirtschaft die Preise bewilligen können, die sie braucht, um mit deutschen seßhaften Leuten den Boden zur höchsten Ertragsfähigkeit zu bringen. Solch reiches Land kann dann in Stadt und Land eine gesunde, wehrhafte Bevölkerung tragen, deren Deutschland für das Heer bedarf.

So soll das Jubiläumsjahr 1913, das zugleich das hundertjährige Erinnerungsjahr des Volkes in Waffen ist, das Deutschland von der Fremdherrschaft befreite, uns die allgemeine Wehrpflicht wieder neu aufrichten, um unserem Vaterlande seinen Besitzstand zu wahren gegen Jedermann. Eck- und Tragepfeiler dieses Gebäudes nach See hin aber ist eine starke kriegsbereite Flotte, kriegsbereiter noch als das Heer. Die Kraft des Landkrieges beruht auf der Zahl der Krieger, die ein Land wehrhaft machen kann. Zur Festhaltung der Grenzen und zur Vorbereitung des weiteren genügt dort auch ein allmähliches, wenn auch tunlichst schnelles Anwachsen zur Kriegsstärke. Der Seekrieg braucht weniger Menschen, er hat mit diesen aber gleich im Beginn des Krieges andere Aufgaben zu erfüllen. Jedes Hinausschieben der Entscheidung würde die Aufgabe stellen, zurückzuerobern, was man dem Feinde überließ von dem im Frieden gemeinsamen Besitz der See. Und hierzu hat unsere Flotte gerüstet und gearbeitet für den Fall, daß man uns zum Kampfe zwingt.

Als in den Jahren 1904 und 1905 der neuste große Seekrieg im fernen Osten seine Schlachten schlug, da konnten wir mit Genugtuung feststellen, daß sie in rein taktischer

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/427&oldid=- (Version vom 12.12.2020)