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der Zeit der Dreadnaughts gebauten, noch voll verwendungsfähigen Schiffe viel stärker waren als die unsrigen aus derselben Periode. Sollten wir aber, nun England die ganze Welt zur Nachfolge im Deplazement gezwungen hatte, ihm zuliebe das von langer Hand her geplante Anwachsen unserer Schiffszahl im Rahmen des Flottengesetzes verlangsamen?

So griff denn dem festen deutschen Willen gegenüber und in allmählicher Erkenntnis unserer friedlichen Absichten in England eine andere Stimmung Platz. Mit dem größerem Kräfteausgleich hat dann auch wohl die Lust, den Frieden zu brechen, jenseits der Nordsee abgenommen. Die Durchführung des Flottengesetzes begann also ihre friedefördernde Wirkung zu äußern. Zwar hat die Drohung, die in der Zusammenziehung der englischen Flotte in der Nordsee liegt, weiter bestanden, sie wurde allmählich durch den Bau neuer Stützpunkte an der ostenglischen Küste zu einer ständigen Einrichtung, aber nebenher gingen doch Bestrebungen, die darauf abzielten, sich so oder so mit dem Bau der deutschen Flotte abzufinden. Aus Drohungen wurden Verhandlungen über Abrüstung oder über einen irgendwie gearteten Ausgleich. Sowie aber bestimmte Vorschläge versucht wurden, sah man doch, daß für ein natürlich nur international mögliches Abkommen über Beschränkung der Flottenrüstungen kaum je eine Formel sich würde finden lassen, die nicht in das souveräne Selbstbestimmungsrecht der Staaten eingriffe.

Die Londoner Seekriegsrechtskonferenz.

So ist das Jahr 1909, das im Februar die Beendigung der in London tagenden Seekriegsrechtskonferenz brachte, trotzdem das Unbehagen über Deutschlands Flotte in England bestehen blieb, doch als der Anfang eines neuen Zeitabschnittes anzusehen, der dazu berufen sein kann – nicht den ewigen Frieden zu bringen, den es auf der Welt nie geben kann – aber einen von allen Seiten anerkannten, weil geschichtlich notwendig gewordenen Gleichgewichtszustand auf der See. Schon daß England, das noch im Jahre 1874 abgelehnt hatte, an der Brüsseler Konferenz teilzunehmen, wenn nicht alle Fragen des Seekriegsrechts von der Besprechung ausgeschlossen würden, jetzt selbst zu einer solchen Besprechung eingeladen hatte, zeigte den Willen zum Einlenken. Man kann verstehen, daß es ihm schwer geworden ist, auf die souveräne Beherrschung der See und aller damit zusammenhängenden Fragen zu verzichten, ja daß, wie eine englische Stimme sagt, die Hindernisse, die England anderen Staaten in der Beziehung in den Weg gelegt hat, „mehr instinktiv als absichtlich“ herbeigeführt worden seien und wird sich doch des Umschwunges freuen und des Anteils, den Deutschlands Rüstungen daran gehabt haben.

Auch daß die Londoner Konferenz, teils der damaligen politischen Gruppierung der Mächte folgend, teils in Nachwirkung der Ereignisse des russisch-japanischen Krieges, eine im Sinne der Gleichberechtigung und daher der Gerechtigkeit eigentlich selbstverständliche Forderung nicht erfüllt hat, braucht uns an dem Glauben nicht irre zu machen, daß wir uns besseren Zuständen nähern. Ich meine die Frage, wie Staaten, die nicht über die ganze Welt hin verteilte Stützpunkte haben, in entfernten Gebieten Krieg führen sollen. Die Art und Weise, in der die Beschlüsse der Konferenz die Reise einer Flotte

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/420&oldid=- (Version vom 12.12.2020)