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im Begriffe sich eine Flotte zu bauen, die bald stärker sein werde als die englische, im Verein mit seiner Heeresmacht den europäischen Frieden bedrohe und England zu seiner Beschützung verpflichte.

So ist im Jahre 1904 das Abkommen mit Frankreich zustandegekommen, das diesen alten Rivalen, der noch 1898 in Faschoda zähneknirschend zurückgewichen war, in Nordafrika zufriedenstellte gegen Einräumung weiterer englischer Rechte in Ägypten. Aber darüber hinaus ist dann allmählich ein politisches Zusammengehen zwischen beiden Reichen entstanden, das, den seit 1870 bestehenden politischen Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland geschickt ausnutzend, England Anlehnung gab an eine Macht „mit vielen Bataillonen“, deren nach Bismarcks Ausspruch die englische Politik bedarf. In Ostasien durch den japanischen Krieg und das Bündnis mit Japan entlastet, den Vereinigten Staaten gegenüber sich auf die Blutsverwandtschaft berufend, die Rivalität trotz der schneller als die deutsche wachsenden Seerüstung jenseits des Atlantischen Ozeans ausschlösse, hat England nun die politische Einkreisung Deutschlands begonnen, die seit 1904 ihren maritimen Ausdruck darin fand, daß die englische Flotte unter Entblößung aller auswärtigen Stationen und unter Erhöhung ihrer Kriegsbereitschaft sich immer mehr in der Nordsee konzentriert.

In Deutschland konnten diese englischen Bestrebungen, die später durch Hinzunahme Rußlands in die „Entente“ und durch Abschwächung des japanischen Bündnisses zur Herstellung besserer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten im Stillen Ozean ihren Abschluß fanden, nur den Eindruck erwecken, daß sie sich richteten gegen ein weiteres Erstarken des deutschen Wirtschaftslebens, dem die im Bau begriffene Flotte Schutz gewähren sollte. Denn nirgends sonst bestanden politische Gegensätze zwischen den beiden Staaten, die der einem Kriegsaufmarsch nahekommenden Vorschiebung der englischen Flotte in die Nordsee zur Rechtfertigung hätten dienen können. Sollte sie eine Einschüchterung sein? Sollte sie dem Drängen der Stimmen Rechnung tragen, die dazu rieten, den unbequemen Emporkömmling zu erschlagen, ehe er noch mehr erstarkte? Denn selbst wenn man der deutschen Seite so gradezu törichte Angriffsgelüste für spätere Zeiten zutraute, so waren doch unsere damaligen Seestreitkräfte eine derartige Kraftanhäufung nicht wert.

Marinevorlage von 1906.

Die Weiterentwickelung der politischen Lage im einzelnen gehört nicht hierher. Uns interessiert mehr das Spiegelbild, das sie im Ausbau der deutschen Flotte gefunden hat. Denn wie das Flottengesetz in seinen Motiven sich vorbehalten hatte, den gesetzgebenden Faktoren neue Vorschläge zu machen, sobald die Verhältnisse im Inneren Abänderungen bedingten, so war Deutschland auch nach außen hin berechtigt und verpflichtet, seine Seerüstung so auszubauen, wie das Anwachsen seiner überseeischen Interessen, die Verhältnisse des Seekrieges und das Vorgehen anderer Staaten es erforderten. Es war also nur natürlich, daß Deutschland in einer besonderen Marinevorlage vom Jahre 1906 sich den veränderten Verhältnissen anpaßte, die der russisch-japanische Krieg für den Schiffbau zur Folge hatte. Dem Vorgehen Englands und anderer Staaten folgend, wurde eine sprungweise Vergrößerung der Schiffe und Torpedoboote für unsere

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/418&oldid=- (Version vom 12.12.2020)