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hierfür, soweit Seeinteressen in Betracht kommen, auch nur den Grundsatz der „offenen Tür“, so ist dabei zu bedenken, daß er doch nichts anderes bedeutet als allgemeine Konkurrenz, wirtschaftlichen Kampf aller gegen alle, bei dem schließlich hinter dem Kaufmann der Staat steht und hinter dem politischen Einfluß die bewaffnete Macht. So hat es England stets gehalten und wird es auch ferner tun. Auch hier können Lebensfragen für uns liegen.

Der deutsch-englische Gegensatz und die Novellen zum deutschen Flottengesetz.

England nimmt Stellung zum deutschen Flottengesetz.

Die Annahme und Durchführung des Gesetzes hat der Entwickelung der Flotte bis heute einen gedeihlichen, stetigen Fortgang gegeben. Man wollte, wie dies ja schon durch den allmählichen Ersatz des veralteten Schiffsmaterials, das auf den Bestand angerechnet wurde, sich von selbst ergab, ohne Überstürzung vorgehen. Aber es war doch ein gutes Zeichen für die bisherige Organisation und für das der Hauptsache nach noch aus der Zeit des alten Regimes stammende Personal, daß die Flotte, von vorübergehenden Schwierigkeiten abgesehen, den ihr zugeführten Zuwachs an Schiffen und an Menschen sich gut angliedern konnte. Wohl spielt das Material eine große Rolle bei dem Aufbau einer Flotte, aber seine Entstehung muß sich richten nach dem Kampfzweck: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“ Schnell wurde das neue, moderne Schiffsmaterial zum Träger der Ideen, die wir als Vorläufer des Flottengesetzes kennen und was die Nation nach dem Willen ihres Kaisers der Flotte gab, ruhte in wohlvorbereiteten Händen. Für die technische Fortentwickelung aber bedeutete es einen guten Anfang, daß die deutsche Schiffbauindustrie, der der General v. Stosch einst den Bau der alten Schlachtschiffe übertragen hatte, sich und ihre Materiallieferanten immer weiter gefördert und uns dadurch vom Ausland unabhängig gemacht hatte.

Denn das Ausland sah mit gemischten Gefühlen, wie hier nun, schneller als man gedacht hatte, eine technisch auf der Höhe stehende, gut organisierte und – soweit ihm ein Einblick gestattet war – mit der Wirklichkeit des Krieges in enger Fühlung stehende Flotte entstand.

Am lebhaftesten äußerte sich diese Stimmung in England. Man wollte nicht einsehen, daß die deutsche Flottenrüstung nur der natürlichen Entwickelung der wirtschaftlichen Verhältnisse Rechnung trug, sondern in einer Nervosität, die schwer verständlich ist für ein Land, das sich seiner Stärke bewußt ist, glaubte man auf Angriffspläne Deutschlands schließen zu müssen. Ja das Gespenst der Invasion tauchte auf, einer Verbindung von Landkrieg und Seekrieg also, die der ruhige, fachmännische Vergleich der Stärke der beiden Flotten doch von vornherein als unmöglich ausschließen mußte. Wie man in Überschätzung der militärischen Stellung Deutschlands auf dem Kontinent und in Verkennung seiner Pläne historische Parallelen zog zu der Zeit Ludwig XIV. und Napoleons, so glaubte man, oder wollte die öffentliche Meinung glauben machen, Deutschland sei

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/417&oldid=- (Version vom 12.12.2020)