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Innerpolitische Schwierigkeiten für den Ausbau der Schlachtflotte.

Während wir so begonnen hatten, Klarheit darüber zu erlangen, wie eine moderne Flotte beschaffen sein müsse und wie sie im Kriege zu verwerten sein würde, kamen die Verhandlungen mit dem Reichstage über Verstärkung unseres Schiffsmaterials wenig vorwärts. Dem ersten Staatssekretär des Reichsmarineamts, Admiral Heusner, der schon nach kurzer Zeit krankheitshalber seinen Abschied nehmen mußte, war Admiral Hollmann gefolgt. Er trat im Jahre 1897 mit einer Denkschrift vor den Reichstag, in der an der Hand des zwar längst überholten, der Öffentlichkeit gegenüber aber immer noch eine Rolle spielenden Flottengründungsplanes von 1873 der Schiffsbestand der Flotte einer Prüfung unterzogen und Vorschläge zur Besserung gemacht wurden.

Dieses Zurückgreifen auf einen Plan, der noch mit Panzerfregatten, Panzerkorvetten, Monitors, schwimmenden Batterien, Korvetten, Avisos und Segelbriggs zur Schiffsjungenausbildung rechnete, der durch Neubewilligungen fast jedes Jahr abgeändert worden war und der namentlich nach den jetzt das Offizierkorps erfüllenden Ideen kaum noch einen Anhalt bot, war vielleicht geboten durch parlamentarische Rücksichten. Auch bei Einbringung des Flottengesetzes hat er noch eine Rolle gespielt, eine durchgreifende Neubildung der Flotte war aber auf dieser Grundlage kaum zu erreichen. Wie sollte man den neuen gährenden Wein in diese alten Schläuche füllen?

Um nicht länger mit der Fiktion zu rechnen, daß die alten Panzerfregatten noch für die Schlacht brauchbar seien, waren drei von ihnen durch eine Allerhöchste Kabinettsordre in die Klasse der Kreuzer versetzt worden. Als der Staatssekretär den mit dieser reduzierten Bestandszahl an Schlachtschiffen rechnenden Etat und die daraus entstehenden Mehrforderungen für Neubauten in der Budgetkommission des Reichstages zu vertreten hatte, fiel zuerst das Wort „uferlose Flottenpläne“. Man verlangte Aufklärung, ließ sich an dieser nicht genügen und lehnte, später auch im Plenum, das Wesentliche der Neuforderungen ab. Durch Zustopfen von Lücken, selbst durch den Bau einzelner Panzerschiffe und Kreuzer, die in diesen Jahren bewilligt worden sind, war dem unbefriedigenden Zustand nicht abzuhelfen.

In der dem Reichstag damals vorgelegten Denkschrift waren Tabellen enthalten, die zeigten, was andere Staaten im Vergleich zu Deutschland seit 1890 für ihre Flotten getan hatten, um daraus die Notwendigkeit größerer Zuwendungen für uns nachzuweisen. Unter den Flotten, die hierbei zu der deutschen in Beziehung gebracht werden, taucht zum erstenmal die englische auf, ferner die der Vereinigten Staaten, und im Text wird auch auf die japanische hingewiesen. Ich möchte hierin einen markanten Unterschied sehen zu der Denkschrift von 1889/90, die nur die Marine Rußlands, Italiens und Frankreichs der unsrigen gegenübergestellt hatte. Zwar sind strategische oder politische Darlegungen hier wie dort nicht an diese Gegenüberstellung geknüpft, aber der Unterschied läßt doch – absichtlich oder unabsichtlich – erkennen, wie die Bedeutung einer Flotte für Deutschland sich zu verschieben begann. Hatte man erkannt, daß die See die Hochstraße der Welt ist, und fand nun England vor unserer Tür mit seiner starken Flotte und mit dem Handelsmonopol, das es in der Welt besessen hatte und nicht verlieren wollte?

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/410&oldid=- (Version vom 12.12.2020)