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Diese Überlegenheit war allerdings nur zu haben in vergrößertem Deplazement und für einen gegen früher erheblich gesteigerten Preis. Was aber Deutschland zu dieser Zeit an Panzerschiffen besaß, war dem Typ nach veraltet und entsprach der Zahl nach nicht einmal den Festsetzungen des Flottengründungsplanes von 1873. Ein Ersatzbau für das 1878 infolge eines Zusammenstoßes mit „König Wilhelm“ gesunkenen Panzerschiffs „Großer Kurfürst“ war zunächst hinausgeschoben worden. Als später im Reichstage ein Ersatzbau für das Panzerfahrzeug „Prinz Adalbert“ wiederholt abgelehnt wurde, war die Forderung eines Ersatzschiffes für „Großer Kurfürst“" aussichtslos und wurde unterlassen, heißt es in einer Denkschrift von 1883. Seitdem waren die Aussichten für Bewilligung von Neubauten großer Schiffe infolge der oben geschilderten politischen Verhältnisse noch ungünstiger geworden.

Die Panzerfahrzeuge der „Siegfried“-Klasse, die jetzt in Bau gegeben wurden, waren ein Produkt des Sichfügens in eine Lage, die abzuwenden man sich zu schwach fühlte. Typenmäßig und taktisch bedeuteten sie, je weiter ihr Bau vorschritt, einen Verzicht auf den Hochseekampf. Sie banden die deutsche Flotte immer mehr an die Küste.

Ähnlich so war es mit dem Teil unserer damaligen maritimen Wehrkraft, der seiner geringen pekuniären und personellen Anforderungen wegen von den beiden Chefs der Admiralität am weitesten gefördert worden war, mit den Torpedobooten. Auch sie konnten die fehlenden Panzerschiffe nicht ersetzen. Aber der Mikrokosmos, den unser in der Torpedoinspektion eine einheitliche Spitze tragendes Torpedowesen damals schon bildete, bedeutete doch mehr. Er bildete in seiner Zusammenfassung technischer, organisatorischer und taktischer Elemente, auf selbständigem Gebiet Neues schaffend, den Kern einer Neubelebung für die ganze Flotte. Was aber auch der Entwicklung des Torpedobootswesens zu ihrer vollen Entfaltung fehlte, war die Anlehnung an eine Hochseeflotte von Panzerschiffen, deren Taktik bei uns sie sich anpassen, deren Studium beim Feinde ihr den richtigen Weg zeigen konnte zu seiner Bekämpfung.

Unsicherheit in der Seetaktik.

Denn eine Taktik des Flottenkampfes gab es im Jahre 1888 weder in anderen Marinen, noch bei uns. Was man als solche ansah, bestand nur in dem Aneinanderführen der Flotten, das in frontalem Aufeinanderstoß zum Durchbruchsgefecht oder – damit vielleicht ohne weiteres verbunden – zur Auflösung in Einzelgefechte zwischen den Schiffen führen mußte. Organisieren ließ sich ein solcher, auf gleichzeitigen Gebrauch von Geschütz, Ramme und Torpedo ausgehender Massenkampf nicht. Drum sprachen gewichtige Stimmen für sofortiges Aufgeben der Formation, sobald nach einleitendem Artilleriefeuer der Kampf begann, und seit 1874 war solch ein Verlauf der Schlacht bei uns sogar reglementarisch festgelegt.

Allmählich begann man dann zu befürchten, daß der Führer durch ein derartiges Umstürzen des Würfelbechers doch alles aus der Hand gebe; das wilde Durcheinander einer solchen Melee ließ sich auch durch taktische Friedensschulung kaum vorbereiten. So trat in dem Denken der Seeoffiziere aller Flotten allmählich ein Umschwung ein. Man bezweifelte, daß in solch regellosem Kampfe wirklich die richtige Ausnutzung des hochentwickelten

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/404&oldid=- (Version vom 12.12.2020)