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durch den etwaigen englischen Widerstand wohl erschwert werden, aber kein Widerstand der Welt konnte uns ihr entheben.

Mit dem Auge auf die englische Politik mußte unsere Flotte gebaut werden – und so ist sie gebaut worden. Der Erfüllung dieser Aufgabe hatten meine Bemühungen auf dem Felde der großen Politik in erster Linie zu gelten. In doppelter Hinsicht mußte sich Deutschland international unabhängig stellen. Wir durften uns weder von einer grundsätzlich gegen England gerichteten Politik das Gesetz unseres Entschließens und Handelns vorschreiben lassen, noch durften wir uns um der englischen Freundschaft willen in englische Abhängigkeit begeben. Beide Gefahren waren gegeben und rückten mehr als einmal in bedenkliche Nähe. In unserer Entwicklung zur Seemacht konnten wir weder als Englands Trabant, noch als Antagonist Englands zum erwünschten Ziele kommen. Die vorbehaltlose und sichere Freundschaft Englands wäre schließlich nur zu erkaufen gewesen durch Aufopferung eben der weltpolitischen Pläne, um derentwillen wir die britische Freundschaft gesucht hätten. Wären wir diesen Weg gegangen, so würden wir den Fehler begangen haben, den der römische Dichter meint, wenn er sagt, man dürfe nicht propter vitam vivendi perdere causas. Als Englands Feind aber hätten wir schwerlich Aussicht gehabt, in unserer Entwicklung zur See- und Welthandelsmacht so weit zu kommen, wie wir am Ende gelangt sind.

Deutschland und England während des Burenkrieges.

Während des Burenkrieges, der die Kraft des britischen Imperiums auf das äußerste anspannte und England vor große Schwierigkeiten führte, schien sich wohl eine Gelegenheit zu bieten, den stillen Widersacher unserer Weltpolitik empfindlich zu treffen. Wie im übrigen Europa gingen auch in Deutschland die Wogen der Burenbegeisterung hoch. Unternahm es die Regierung, England in den Arm zu fallen, so war sie des Beifalls der öffentlichen Meinung gewiß. Für einen momentanen Erfolg gegen England schien vielen die europäische Konstellation günstig und namentlich die französische Hilfe sicher. Aber die europäische Interessengemeinschaft gegen England war nur scheinbar, und scheinbarer noch wäre für uns der Wert eines etwaigen politischen Erfolges gegen England in der Burenfrage gewesen. Der Versuch, unter dem Eindruck der damaligen burenfreundlichen Stimmung zu Taten zu schreiten, hätte bald eine Ernüchterung zur Folge gehabt. In der französischen Nation hätte der tiefsitzende nationale Groll gegen das Deutsche Reich die momentane Verstimmung gegen England rasch und elementar verdrängt, sobald wir uns gegen England festgelegt hätten, und ein grundsätzlicher Frontwechsel der französischen Politik in greifbare Nähe gerückt worden wäre. Mochte die frische Erinnerung an Faschoda für den französischen Stolz auch noch so ärgerlich sein, gegen die Erinnerung an Sedan wog sie federleicht. Der ägyptische Sudan und der weiße Nil hatten den Gedanken an Metz und Straßburg nicht aus den französischen Herzen verdrängt. Die Gefahr lag nahe, daß wir von Frankreich gegen England vorgeschoben wurden, während Frankreich selbst sich im psychologischen Moment der Mitwirkung versagte. Wie in Schillers schönem Gedicht „Die Ideale“ hätten die Begleiter sich auf des Weges Mitten verloren.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/33&oldid=- (Version vom 31.7.2018)