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der gegenwärtigen StrPO. durch Kompromiß erledigt worden waren, gab der Entwurf entsprechend dem damaligen Wunsche des Reichstags den Redakteuren, Verlegern, Druckern und technischem Hilfspersonal das Recht, ihr Zeugnis über die Person des Verfassers oder Einsenders zu verweigern. Allerdings unter der doppelten Voraussetzung, daß ein Redakteur wegen des Artikels bestraft werden könne und der Inhalt des Artikels nicht den Tatbestand eines Verbrechens bilde.

Auch war im Entwurf die Bildung besonderer Abteilungen der Amtsgerichte für Strafsachen gegen Personen unter 18 Jahren vorgesehen. Diese „Jugendgerichte“, für deren Verhandlungen stets die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden konnte, sollten die Jugendlichen, wenn Erziehungsmaßregeln der Bestrafung vorzuziehen waren, dem Vormundschaftsrichter überweisen, der dann die erforderlichen Erziehungsmaßregeln zu ergreifen, auch geeignetenfalls dem Jugendlichen einen Fürsorger zu bestellen habe.

Ein besonderer allgemein anerkannter Vorzug, den der neue Entwurf der StrPO. dem Zusammenwirken des Reichsjustizamts mit dem Allgemeinen Deutschen Sprachverein verdankte, war seine formvollendete, schlichte und gute Sprache.

Reichstagskommission 1910.

Der Reichstag überwies die Entwürfe in der 1. Lesung an eine Kommission von 28 Reichstagsmitgliedern, in der alle Fraktionen vertreten waren. Die Kommission wählte zum Vorsitzenden den Abgeordneten Wellstein, zu Berichterstattern für die einzelnen Teile die Abgeordneten Dr. Heinze, Dr. Mayer (Kaufbeuren), Dr. Wagner (Sachsen) und Graef (Weimar). Dem Redaktionsausschuß gehörte außer dem Vorsitzenden und den 4 Berichterstattern der Abgeordnete Groeber an. Seitens der verbündeten Regierungen beteiligten sich an den Beratungen Bundesratsbevollmächtigte der meisten Staaten, darunter der preußische Justizminister und der Staatssekretär des Reichsjustizamts, sowie eine Reihe auf Grund des Art. 16 der Reichsverfassung ernannte besondere Kommissare.

Die Reichstagskommission begann die Beratungen am 3. März 1910, setzte sie auch während der Vertagung des Reichstags fort und legte nach zwei Lesungen ihren Bericht am 16. Januar 1911 dem Reichstag vor.

Änderungen durch die Kommission, die vom Bundesrat angenommen waren.

Als Änderungen, die von der Kommission beschlossen und von den Bundesregierungen angenommen wurden, sind hervorzuheben: 1. Dem verhafteten Beschuldigten soll ein Verteidiger bestellt werden, wenn seine Verteidigung nach Lage des Falles durch die Haft besonders erschwert erscheint. 2. Gegen die von der Staatsanwaltschaft verfügte Einstellung eines Ermittlungsverfahrens soll der Antrag auf Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht nur dem Verletzten, sondern jedem zustehen, der an der Verfolgung ein berechtigtes Interesse hat. 3. Mittellosen Angeklagten kann bei großer Entfernung ihres Wohnorts für die Reise zum Gericht eine Fahrkarte gewährt werden. 4. Die durch das Gesetz vom 14. Juli 1904 bewilligte Entschädigung für unschuldig

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/323&oldid=- (Version vom 4.8.2020)