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Das System der Reichsbank ist durch das Gesetz von 1875 zunächst für 10 Jahre geschaffen und dann immer wieder von 10 zu 10 Jahren erneuert worden (letzte Novelle von 1909). Angesichts der Entwickelung, die unsere gesamte Volkswirtschaft genommen hat, ist vielleicht der Zeitpunkt nicht mehr fern, an dem das Privatkapital von 180 Millionen Mark, das zurzeit noch die finanzielle Grundlage der Reichsbank bildet, vom Reiche selbst übernommen und dadurch das ganze System des Reichsbankwesens vollständig in den Rahmen der Staatsverwaltung übergeführt wird.

Börse.

Durch ein selbständiges Gesetz wurde ferner 1896 die Staatsaufsicht über die Börse eingehend geregelt (letzte Fassung von 1908); Börsen dürfen nur mit Staatsgenehmigung errichtet werden und sie werden, besonders was den Börsenterminhandel betrifft, von Staats wegen scharf beaufsichtigt.

Siehe im übrigen den Abschnitt über das Bankwesen.

6. Handel, Landwirtschaft und Gewerbe

1. Handelsgesetzgebung und Handelsverträge.

Die großen Erwerbszweige des deutschen Volkslebens, Landwirtschaft, Industrie und Handel, haben die Gesetzgebung des Reiches in umfassender Weise beschäftigt. Einen verhältnismäßig festen Abschluß hat diese Gesetzgebung für das Gebiet des Handels gefunden. Es ist zweifellos eine der interessantesten Erscheinungen unseres Verkehrslebens und der durch dieses geforderten Rechtsentwickelung, daß die Energie des deutschen Kaufmannes schon zu einer Zeit, als die staatliche Einigung des deutschen Volkes noch in weiter und ganz ungewisser Ferne stand, für das Gebiet des Handels ein einheitliches Recht, das als Notwendigkeit empfunden wurde, mit zäher Konsequenz durchsetzte. So entstand noch in Zeiten des alten deutschen Bundes das Deutsche Handelsgesetzbuch, dem sich alsbald auch die einheitliche Deutsche Wechselordnung anfügte. Diese großen und guten Gesetzgebungswerke wurden vom deutschen Gesamtstaate einfach übernommen und der modernen Verkehrs- und Rechtsentwickelung entsprechend weiter so ausgestaltet, wie sie heute in Kraft stehen und sich ausgezeichnet bewährt haben. Eine hochbedeutsame Neugestaltung des gesamten Handelsrechtes erfolgte im Jahre 1897. Der Gedanke, das Wechselrecht auf internationale Grundlagen zu stellen, hat vor kurzem zu interessanten Konferenzen im Haag geführt, die nicht nur die Möglichkeit der Internationalisierung des Wechselrechtes außer Zweifel stellten, sondern bereits zu einer formell rechtlichen Erledigung des Problems insoweit geführt haben, als bereits ein formeller Staatsvertrag eines Weltwechselrechtes zustande gebracht wurde, auf Grund dessen nunmehr die Gesetzgebung der einzelnen Vertragsstaaten vorzugehen haben wird. Dieses großartige internationalrechtliche Werk ist unter intensiver Mitwirkung des Deutschen Reiches zum Abschluß gelangt. Leider haben die beiden großen angelsächsischen Mächte England und die Vereinigten Staaten sich von diesem Werke bis jetzt ferngehalten.

An Einzelgesetzen, die den Handel betreffen, mögen besonders erwähnt werden: das Gesetz über die Errichtung besonderer Kaufmannsgerichte (1904) neben den bereits

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/178&oldid=- (Version vom 4.8.2020)