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Sonstige Veränderungen des Reichstagsrechts.

Außerdem erfolgten noch andere Veränderungen des Reichstagsrechtes, so behufs Verstärkung des Schutzes des Wahlgeheimnisses (1903); ferner hat der Reichstag selbst kraft der ihm verfassungsmäßig zustehenden Autonomie (RV. Art. 27) seine Geschäftsordnung in einigen Punkten abgeändert, so durch Einführung des Ausschlusses von einer Sitzung als Disziplinarmittel gegen Abgeordnete, die sich schwere Verletzungen der Ordnung zuschulden kommen lassen (seit 1895), und Ausgestaltung der parlamentarischen Anfragen an die Regierung (sog. kleine Anfragen, Zulassung von Anträgen im Anschluß an die Besprechung von Anfragen). Erhebliche Bedeutung haben diese Änderungen des Parlamentsrechtes trotz der lebhaften Verhandlungen, die ihnen vorangingen, kaum zu beanspruchen; immerhin liegt in den letztgenannten Vorschriften eine nicht unbedeutende Verstärkung der Macht des Parlamentes. – Daß der deutsche Reichstag in der Art seiner Zusammensetzung und infolge davon auch in der Art seiner Arbeit im Laufe der Zeit eine wesentliche Umwandlung erfahren hat, unterliegt für den ruhigen Beobachter, der auf die ganze Zeit des gesamtdeutschen Staatslebens seit dem 1. Juli 1867 zurückblicken kann, keinem Zweifel. Die Schaffung des deutschen Reichstages war die Folge großer historischer Tatsachen. Eine Veränderung der Grundlagen der Vertretung des deutschen Volkes würde auch nur die Folge großer historischer Tatsachen sein können. Ein Reichstag, dessen Mehrheit nicht mehr auf den Grundlagen der heutigen Reichsverfassung stände, würde notwendig sofort die Daseinsfrage von Reichsverfassung und Reich aufrollen müssen.

4. Schiffahrtsabgaben.

Eine bedeutsame Abänderung hat ferner 1911 der Artikel 54 der RV. in seinen die Wasserstraßen und die auf solchen zulässigen Schiffahrtsabgaben betreffenden Abschnitten erfahren. Artikel 54 bildet die Grundlage der einheitlichen deutschen Handelsmarine und überträgt die gesetzlichen Aufgaben des Staates für die Handelsmarine dem Reiche. Was die von der Schiffahrt zu erhebenden Abgaben betrifft, so hatte der ursprüngliche Art. 54 gemäß den seinerzeit auf dem Wiener Kongresse vereinbarten Grundsätzen die Norm aufgestellt, daß Schiffahrtsabgaben auf natürlichen Wasserstraßen nur erhoben werden dürften für „besondere Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind“ und daß sowohl bei natürlichen wie bei künstlichen Wasserstraßen des Staates jene Abgaben „die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten nicht übersteigen dürfen“.

Im Zusammenhang mit dem groß angelegten Plane des Ausbaues des künstlichen und natürlichen Wasserstraßennetzes in Preußen (Gesetz vom 1. April 1905), dessen gewaltige Kosten teilweise durch Schiffahrtsabgaben aufzubringen ein selbstverständlicher Gedanke war, erfolgte durch Gesetz vom 24. Dezember 1911, um dem verwirrten Streit über den Begriff „besondere Anstalten“ ein Ende zu machen, eine Abänderung des Art. 54 der RV. dahin, 1. daß statt der „besonderen“ Anstalten gesetzt wurde: „Anstalten (Werke und Einrichtungen), die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind“; 2. daß als Höchstmaß der Abgaben bestimmt wurde bei staatlichen und kommunalen Anstalten:

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/158&oldid=- (Version vom 31.7.2018)