Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 1.pdf/143

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Fraktion dem Führer Koscielski die Gefolgschaft. Herr von Koscielski selbst hielt in Lemberg 1894 jene unvorsichtige Rede, die wesentlich dazu beitrug, eine Umwendung der preußischen Ostmarkenpolitik in die Bahnen Bismarcks zu bewirken. Damals, im September 1894, wurde der deutsche Ostmarkenverein gegründet nach einer Huldigungsfahrt ostmärkischer Deutscher zum Altreichskanzler nach Varzin.

Die Traditionen Bismarcks fanden nach dem Rücktritt Caprivis einen umsichtigen Vertreter in Miquel. Dem Fond der Ansiedelungskommission wurden 1898 neue Mittel zugeführt und mit Landerwerb in größerem Maßstabe vorgegangen. Aber die Wahrheit des Dichterwortes „Was man von der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück“ erwies sich auch in der preußischen Ostmarkenpolitik. Die günstige Konjunktur auf dem Gütermarkte, die anfangs der neunziger Jahre ungenützt geblieben war, war vorüber. Dem polnischen Grundbesitz war in der kritischen Zeit geholfen worden, die Polen hatten Zeit gewonnen, sich zum Kampf um den Boden zu organisieren. Während von 1886 bis 1888 durchschnittlich jährlich 11 000 ha aus polnischen Händen von der Ansiedelungskommission erworben worden waren, konnten 1895 nur 911 ha, 1896 1804 ha, 1897 bis 1899 jährlich nur durchschnittlich 2500 ha aus polnischer Hand angekauft wurden. Mehr und mehr mußte der für die Zwecke der Ansiedelung erforderliche Landbedarf aus deutschem Gutsbesitz gedeckt werden.

Die Energie, mit der die Polen die Abwehr des deutschen Angriffs auf ihren Boden in Szene gesetzt haben, verdient Bewunderung. Die deutsche Siedelungsaktion ward mit einer polnischen Gegenaktion beantwortet. Die Polen parzellierten ihrerseits Güter, für die sie die Siedler vielfach gewannen aus der großen Zahl der polnischen Industriearbeiter im Westen. Während es den Polen für eine Schande galt, den Deutschen Land zu verkaufen, scheuten sich Deutsche leider oft nicht, den Polen für hohen Entgelt deutschen Grundbesitz zu überlassen. Wohl gelang es mir, nach Aufschüttung des Ansiedelungsfonds im Jahre 1902 das Ansiedelungswerk in bedeutendem Umfange zu fördern. Es wurden 22 007 ha im Jahre 1902, 42 052 ha 1903, 33 108 ha 1904, 34 661 ha 1905, 29 671 ha 1906 und nach der Bewilligung neuer Mittel 1908 in diesem Jahre 14 093 ha, 1909 21 093 ha für die Ansiedelung erworben. Aber der Ankauf von Gütern aus polnischem Besitz gestaltete sich immer schwieriger, da die Polen ihr Land festhielten und die Tätigkeit der Ansiedelungskommission auf der einen, die polnische Parzellierungspolitik auf der anderen Seite eine Güterspekulation zur Folge hatte, die die Güterpreise reißend in die Höhe trieb. Sollte das mit solchen Opfern und um den Preis schwerer Kämpfe unternommene Ansiedelungswerk nicht zur schließlichen Resultatlosigkeit verurteilt sein, so mußte ein Gedanke verwirklicht werden, den Bismarck schon 1886 ausgesprochen hatte und der später wieder und wieder erörtert worden ist: der Gedanke der Enteignung. Das Gesetz von 1908 gab dem Staat das Recht, Ansiedelungsland im Wege der Enteignung zu erwerben. Das Gesetz war die logische Konsequenz der im Jahre 1886 begonnenen Ansiedelungspolitik, es macht die Tätigkeit der Ansiedelungskommission frei von den Konjunkturen des Gütermarktes und sichert einer entschlossenen Regierung in dem wirtschaftlichen Kampf um den Boden am letzten Ende die Überlegenheit.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/143&oldid=- (Version vom 31.7.2018)