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2. Dezember erst wieder erinnert, als er sich grobe Blößen in der auswärtigen Politik gab, und erst nach dem Tage von Sedan wurde die Rue du 2 décembre in Rue du 4 septembre umgewandelt. Dagegen spricht jede Seite der deutschen Geschichte davon, wie zäh der Deutsche sein gutes altes Recht verteidigt, wie unversöhnlich er selbst dann bleibt, wenn altes Recht zur Seite geschoben wurde, um einem gesunden notwendigen Fortschritt den Weg zu bahnen. Das Recht soll gewiß nicht über den Staatsnotwendigkeiten stehen, das Fiat justitia pereat mundus gilt nicht für die Politik. Aber solange den Staatsnotwendigkeiten auf dem Boden des Rechts genügt werden kann, soll es geschehen. Auch im Kampfe gegen die Sozialdemokratie. Bricht die Sozialdemokratie offen das Recht, so muß ihr selbstverständlich mit gleicher Münze gedient werden. Eine solche Wendung kann in Rechnung gezogen, sie darf aber nicht herbeigewünscht oder gar forciert werden.

Keine Politik der Aussöhnung.

Gewaltmittel ohne innere Heilung haben noch nie zu dauernden Ergebnissen geführt. Auf der anderen Seite kann unter unseren deutschen und insbesondere unter unseren preußischen Verhältnissen die sozialdemokratische Partei mit ihrem heutigen Programm und ihren gegenwärtigen Zielen nicht auf dieselbe Linie mit den Parteien gestellt werden, die auf dem Boden der bestehenden Staatsordnung stehen. Der Vergleich mit anderen Ländern, in denen es gelungen ist oder allmählich zu gelingen scheint, die sozialistische Partei an die Regierung heranzuziehen, hält unseren deutschen Verhältnissen gegenüber nicht Stich. Wir haben ein anderes Staatsleben, haben vor allen Dingen eine andere Sozialdemokratie. Auch hier gilt die Warnung Bismarcks, das Vorbild nicht im Auslande zu suchen, wenn uns die zur Nachahmung des Auslandes notwendigen Voraussetzungen und Eigenschaften fehlen. In Frankreich sind Sozialisten Minister und gute Minister geworden und haben gezeigt, wie recht das französische Sprichwort hat, das sagt qu’un Jacobin ministre n’est pas toujours un ministre jacobin. Aristide Briand, einst ein radikaler Sozialist, erwies sich als ein entschlossener Hüter der öffentlichen Ordnung, der Sozialdemokrat Millerand als ein exzellenter Kriegsminister. Auch in Italien ist der Versuch gelungen, die Sozialisten zur Mitregierung heranzuziehen. In Holland und in Dänemark sind gleiche Versuche wohl nur vorläufig aufgegeben worden. In einer ganzen Reihe anderer Länder wird es voraussichtlich nicht lange dauern, bis das französische und italienische Vorbild einer allmählichen Aussöhnung mit den sozialistischen Elementen Nachahmung findet. Wir dürfen uns durch die anscheinend günstigen Erfolge solcher Experimente nicht täuschen lassen. Wie unsere geschichtliche Vergangenheit, unsere staatliche Entwicklung, unsere politische Eigenart von denen anderer Völker unterschieden sind, so ist es auch unser sozialdemokratisches Problem. Wir müssen unsere eigenen Zustände studieren, die Eigenart der deutschen Sozialdemokratie, die die Grundlagen unseres staatlichen Lebens angreift, die Eigenart unseres staatlichen Lebens, die wir gegen die Sozialdemokratie zu verteidigen haben.

Die Stärken und die Schwächen unserer nationalen Veranlagung kommen auch in der deutschen Sozialdemokratie zum Ausdruck. Sie ist so, wie sie ist, nur in Deutschland möglich. Sie ist für uns so gefährlich, weil sie so deutsch ist. Kein Volk

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/104&oldid=- (Version vom 31.7.2018)