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Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort

8.
Man führt den Knaben wol aus dem Thurm,

man reicht ihm das Sacramente:
‚‚‚Hilf, reicher Christ vom Himmel herab!
es geht mir an mein Ende.‘‘‘

9.
Man führt den Knaben zum Gericht hinaus,

die Sprossen mußt er steigen:
‚‚‚Ach Züchtiger, lieber Züchtiger mein,
laß mir ein kleine Weile!‘‘‘

10.
„„Ein kleine Weile laß ich dir nicht,

du möchtst mit sonst entrinnen;
leiht mir ein seidens Tüchlein her,
daß ich ihm sein Augen verbinde!““

11.
‚‚‚Ach meine Augen verbinde mir nicht,

ich muß die Welt anschauen;
ich sehe sie heut und nimmermehr
mit meinen schwarzbraun Augen.‘‘‘

12.
Sein Vater unterm Gerichte stund,

sein Herz möcht ihm zerbrechen:
„Ach Sohne, liebster Sohne mein!
dein Tod will ich schon rächen!“

13.
‚‚‚Ach Vater, liebster Vater mein,

mein Tod sollt ihr nicht rächen!
bringt meiner Seelen ein schwere Pein;
um Unschuld so will ich sterben.

14.
‚‚‚Es ist nicht um mein stolzen Leib

noch um mein junges Leben,
es ist nur um meine Frau Mutter daheim,
die weinet sich also sehre.‘‘‘

15.
Es stund kaum an den dritten Tag,

ein Engel kam vom Himmel:
man sollt den Knabn vom Gerichte nehmn ab,
sonst würde die Stadt versinken.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin, Preußen 1856, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_016.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)