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Der Wahnsinnige.

„Mach’ auf die Thüre, Mütterlein,
Mach’ auf! Bin heimgekommen aus dem Feld,
Hätt’ gern ein Frühstück, lieber deinen Kuß!“
Die Thür geht schwer in ihren Angeln auf,

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Im Haus ist’s still.

„Vielleicht im Garten sitzen sie, und plaudern.“
So denkt der junge Bursch, läuft hin und her,
Trifft nichts was Mutter, was den Andern gleicht.
„Doch ja, da leuchtet’s durch die Büsche,

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Leuchtet schön weiß und freundlich her; ist Mutter,

So lächelt Mutter. Mutter gieb mir ’n Kuß.“
Er küßt; o weh! war alles Stein und kalt,
Nur seiner Mutter Bildniß.
Das schießt ihm in’s verwilderte Gemüth,

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Er rennt in’s Haus zurück, sucht auf und ab,

Nun wird’s gar schlimmer –
Vorher doch traf er keinen Menschen an,
Nun trifft er Fremde gar, trifft ungewohnte
Gesichter, die zum Ort nicht passen woll’n.

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Er starrt betrübt umher.

Da sagen sie einander sich in’s Ohr:
„Es ist der arme, wahnsinnstrunkne Kriegsknecht,
Der ehmals hat in dieses Haus gehört,
Und nun noch immer hier die Lieben sucht.

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Wir wollen gut seyn gegen ihn,

Woll’n Speis’ und Trank ihm reichen, so ist Gott
Ein andermal auch gegen uns barmherzig.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern. J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung, Tübingen 1813, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Dichterwald_199.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)