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Die Nachtschatten.

O wie oft ich hielt die Winde,
Und den Schatten und die Luft
Für mein allerliebstes Kinde,
Das mit Geisterlaut mich ruft!

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Mit dem Schatten traut ich kose,

Wenn er ziehet hin und her,
Drück’ an’s Herz das Namenlose,
Und das arme Herz bleibt leer. –

In den Nächten, die so dunkel,

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Denk’ ich nur an Sie, an Sie,

Schau den edelen Karfunkel
Bei dem Mond der Phantasie.
Ruh’ in einem Bett von Aether
An der hehren Göttin Brust,

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Und mein Herz wird immer röther,

Roth von Liebe und von Lust.

So nur nächtlich auf den Auen
Bin ein Sämann ich, ein Hirt,
So nur nächtlich nach der Frauen

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Meines Herzens Tauber girrt.

Röthet Morgen dann sich wieder,
Wie erblass’t das rothe Blut,
Stumm die hellen Minnelieder,
Krank der hohe Zaubermuth!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern. J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung, Tübingen 1813, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Dichterwald_075.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)