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Winterklage.

Wann in lichten Sommertagen
Leiden dieses Herz getragen,
Schlug es bald am Wiesenbach,
Bald in Waldes Dämmerungen,

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Wo die Nachtigall gesungen,

Mildern Melodien nach.

Jetzt in trüben Wintertagen,
Ach, wer stillet seine Klagen?
Nachtigall und Wiesenbach?

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Wiesenbach liegt eng gebunden,

Nachtigall hat Tod gefunden,
Singt nicht mehr die Blumen wach.

Blumen auch sind rings verdorben,
Mutter Erde ist gestorben,

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Und ihr Kind verwaist, allein.

Einsam blickt’s in blaue Ferne,
Komm! so rufen alle Sterne,
Hier ist ew’ger Maienschein!

Herz, so hör’ denn auf zu schlagen!

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Sieh! in diesen trüben Tagen

Singt kein Vogel, wallt kein Bach.
Willst dich nicht gefangen geben,
Treibst mit schmerzlich bangem Beben
Eine Well’ der andern nach!

 Kerner.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern. J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung, Tübingen 1813, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Dichterwald_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)