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er an den Rhein zu des Herzogen von Cleve Hof gekommen war, gab er sich für einen Bogenschützen aus, und begehrte Dienst. Dem Herzog behagte seine feine, starke Gestalt, und behielt ihn gern; auch zeigte sich Otto als ein künstlicher, geübter Schütze so wohl und redlich: daß ihn sein Herr bald hervor zog, und ihm vor andern vertraute.

Unterdessen trug es sich zu, daß der junge Heinrich, sein Bruder, frühzeitig starb, und der braunschweiger Herzog, dem des Landgrafen Tochter vermählt worden war, begierig auf den Tod des alten Herrn wartete: weil Otto, der andere Erbe, in die Welt gezogen war, niemand von ihm wußte, und allgemein für todt gehalten wurde. Darüber stand das Land Hessen in großer Traurigkeit: denn alle hatten an dem Braunschweiger ein Mißfallen, und zumeist der alte Landgraf, der lebte in großem Kummer. Mittlerweile war Otto der Schütz guter Dinge zu Cleve, und hatte ein Liebesverständniß mit Elisabeth, des Herzogs Tochter, aber nichts von seiner hohen Abkunft laut lassen werden.

Dies bestund etliche Jahre, bis daß ein hessischer Edelmann, Heinrich von Homberg genannt, weil er eine Wallfahrt nach Achen gelobt hatte, unterwegs durch Cleve kam, und den Herzog, den er von alten Zeiten her kannte, besuchte. Als er bei Hof einritt, sah er Otten, kannte ihn augenblicklich, und neigte sich, wie vor seinem Herrn gebührte. Der Herzog stand gerade am Fenster, und verwunderte sich über

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_374.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)