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Otto befahl, daß er alsobald herbeigebracht würde; er wollte ihn aber erschrecken und übel empfahen.

Als Heinrich von Kempten hereingeführt war, gebürdete der Kaiser sich zornig und sprach „wie getrauet ihr, mir unter Augen zu treten? ihr wißt doch wohl, warum ich euer Feind bin, der ihr meinen Bart gerauft und ohne Scheermesser geschoren habt, daß er noch ohne Locke steht. Welch hochfärtiger Uebermuth hat euch jetzt daher geführt?“ „Gnade, Herr – sprach der kühne Degen – ich kam gezwungen hierher, und mein Fürst, der hier steht, gebot es bei seinen Hulden. Gott sey mein Zeuge, wie ungern ich diese Fahrt gethan; aber meinen Diensteid mußte ich lösen: wer mir das übel nimmt, dem lohne ich so, daß er sein letztes Wort gesprochen hat.“ Da begann Otto zu lachen: „seyd mir tausend Mal willkommen, ihr auserwählter Held! mein Leben habt ihr gerettet, das mußte ich ohne eure Hülfe verloren haben, seliger Mann.“ So sprang er auf, küßte ihm Augen und Wangen. Ihr zweier Feindschaft war dahin, und eine lautere Sühne gemachet; der hochgeborne Kaiser lieh und gab ihm großen Reichthum, und brachte ihn zu Ehren, deren man noch gedenket.



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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_181.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)